film20 fordert:

Umschalten jetzt!

Für eine effektive Förderung des deutschen Films

Überlegungen und Forderungen anlässlich des filmpolitischen Papiers von Kulturstaatsminister Nida-Rümelin und in Richtung auf die anstehende Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG)

Im November 2001 hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Staatsminister Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, ein filmpolitisches Konzept vorgelegt. Die besonderen Verdienste dieses Papiers sind

  • der Versuch einer Gesamtschau auf die Bedingungen der Branche in Deutschland und der Vergleich mit ausländischen Erfahrungen;
  • die Erkenntnis aus dieser vergleichenden Analyse, dass die Förderung für das Kulturgut Film erhöht, der Beitrag des Fernsehens angehoben und die Referenzfilmförderung verstärkt werden sollen;
  • die Bereitschaft, politisch einzugreifen, zu gestalten, zu handeln.

Faktisch gleichzeitig hat film20 Strukturüberlegungen und Forderungen zur Entwicklung der deutschen Filmindustrie unter dem Titel "20 Punkte für eine effektive Förderung des deutschen Films" veröffentlicht. Die Kernaussage: Der deutsche Kinofilm braucht als Anstoß für eine nachhaltige positive Entwicklung seiner Potentiale dreierlei: Mehr Geld, mehr Markt, eine Stärkung der Produzenten-Verantwortung! Das erfordert mutige Veränderungen mit Augenmaß - neben anderen Aktionsfeldern unbedingt und aktuell auch in der Filmförderung, und dort vor allem ein deutliches Umschalten in Richtung Referenzfilmförderung. Wir brauchen nicht mehr Filme, aber mehr Filme mit größeren Budgets! Wir brauchen mehr Zugpferde, die die Marke "Deutscher Film" bei Zuschauern zu Hause und im internationalen Markt nach vorne bringen.

Seit November hat es zur Frage der Entwicklung des deutschen Kinofilms und seines Förderrahmens eine Vielzahl publizistischer Äußerungen, zahlreiche Stellungnahmen und Debatten gegeben. Während zu Beginn dieser Diskussion übereinstimmend und deutlich die Haltung vorherrschte, "Veränderung tut Not!" - insbesondere bei den von Branche und Politik geführten Gesprächen, zuletzt beim "Bündnis für den Film" am 7. Dezember 2001 - waren die Debatten der Folgezeit von abnehmender Bereitschaft zum Umdenken und zur praktischen und faktischen Umorientierung der Filmförderung gekennzeichnet. Sei es vor dem Hintergrund des sich schon abzeichnenden Bundestagswahlkampfs, sei es vor dem Hintergrund der aktuellen Krise im Fernsehmarkt - es gibt ein offensichtlich tagespolitisch motiviertes Interesse an Vernebelung der Situation und Kleinreden der Probleme. Es stimmt: 2001 war tatsächlich ein Besucherrekordjahr für die deutschen Kinos. 2001 lieferte aber eben nicht gleichzeitig einen Ergebnisrekord für die deutsche Filmindustrie. Deren Ausgangsbedingungen sind nach wie vor ärmlich!

Die Fakten:

Schlaglichter auf die deutsche Filmwirtschaft - Nicht gut, aber gut zu wissen

Das Durchschnittsbudget ist niedrig!
Es liegt 2001 wie 1991 bei statistisch akkuraten 2,6 Mio. ¤, die Branche rechnete das ganze Jahrzehnt über den Daumen mit 3 Mio. ¤ als Durchschnittsbudget. Was nominell zwar mager, aber immerhin stabil aussieht, verlangt nach einem zweiten Blick: Real und inflationsbereinigt sind die Durchschnittsbudgets in den letzten 10 Jahren um 18,6 % gesunken. (Quellen: SPIO, Statistisches Bundesamt)

  • Der Marktanteil ist mager! Der Anteil deutscher Filme in deutschen Kinos hat sich im Vergleich zu 1990 (10,5 %) zwar annähernd verdoppelt, befindet sich mit 18,4 % in 2001 aber immer noch auf sehr niedrigem Niveau. (Quelle: FFA)
  • Die Kinofilmförderung dümpelt! Die Fördermittel für den Kinofilm sind seit 1998 zwar um 18,4 % auf 109,17 Mio. ¤ im Jahre 2001 gestiegen, im selben Zeitraum ist aber der Kinofilm-Anteil am Gesamt-Fördervolumen von knapp 60 % auf 53 % gesunken. (Quelle: FFA)
  • Die Senderbeteiligung sinkt! An den im Jahr 2000 uraufgeführten deutschen Kinofilmen beträgt sie durchschnittlich 7,3 % der Herstellungskosten. 1995 waren es noch 14 %. (Quelle: FFA)
  • Die TV-Lizenzen sind billig! Für erfolgreiche deutsche Filme (mehr als 1 Mio. Kinobesucher) liegen sie bei 1 bis maximal 1,5 Mio. ¤. Für entsprechende US-Filme fangen die Lizenzpreise hier erst an. (Quelle: film20-Recherche)
  • Die Sender bedienen sich günstig! Mit ca. 10.000 Spielfilmen werden - mit Wiederholungen - an die 20.000 Spielfilm-Programmplätze pro Jahr gefüllt! (Quelle: FFA)
  • Endlich etwas Positives: Die Zahl der Kinobesuche ist seit 1991 von 120 Mio. auf 178 Mio. im Jahr 2001 kontinuierlich gestiegen. (Quelle: FFA)

Und so arbeitet die Branche im Ausland:

  • Position im Heimatmarkt: Der Marktanteil von US-Filmen in den USA liegt bei 86%, von französischen Filmen in Frankreich bei 41 % und von deutschen Filmen in Deutschland bei 18 % - selbst in einem besonders erfolgreichen Jahr wie 2001.
  • Herstellungskosten: Die durchschnittlichen Produktionskosten für Kinofilme liegen in den USA bei 60 Mio. US $, in Frankreich bei 6 Mio. ¤ und in Deutschland bei 3 Mio. ¤
  • Drehtage: Deutsche Filme müssen mit durchschnittlich 35-40 Drehtagen auskommen, in den USA sind es 90-100.
  • Zugpferde: Die fünf erfolgreichsten "einheimischen" Filme hatten im Jahr 2001 in den USA Budgets zwischen 60 und 130 Mio. $, in Frankreich zwischen 11,7 und 32 Mio. ¤. In Deutschland haben auch die fünf deutschen Spitzenreiter dramatisch niedrige Budgets zwischen 3,5 und 9,7 Mio. ¤. (Quellen: MPA, CNC, FFA).
  • Herausbringungskosten: Bei US-Filmen werden allein für den US-Markt etwa 50 % der Herstellungskosten als P&A kalkuliert, das sind 30 Millionen Dollar pro Film. Deutsche Filme konnten im Jahr 2000 für die Herausbringung (die Zahl ist nur im Rahmen der FFA-Projekt-Absatzförderung verlässlich bekannt) durchschnittlich nur 0,89 Mio. ¤ einsetzen.

Die Ziele:

Erfolge sind machbar -
Deshalb: Erfolgsanreize verstärken!

Neben dem Schönreden der Situation wider besseren Wissens ist in der Debatte eine weitere Verweigerungshaltung gegen die Realität zu entdecken: Die Sitzung des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages am 13. März 2002 hat dies schlagend gezeigt. Statt künstlerische und unternehmerische Kompetenz bei der Herstellung von Erfolg zu beleuchten, wurden verschiedene Legenden und Mysterien der Branche neu aufgelegt.

  • Die Behauptung: Jeder Film ist anders - Erfolg ist nicht voraussagbar! - Das stimmt für den einzelnen Film, das stimmt nicht für die Branche! Für die Filmwirtschaft ist Erfolg sehr wohl von klaren Bedingungen abhängig und damit auch machbar.
  • Die Behauptung: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen hohen Budgets und Erfolgen von Filmen! - Das stimmt nicht! Denn die Entwicklung eines Stoffes zur vollen Reife, das professionelle Umgehen mit mehreren Drehbuchversionen, Ausstattung und Drehorte nach internationalem Standard, ein prominenter Cast, all das lässt sich nur mit höheren Budgets verwirklichen als sie der deutsche Film im Durchschnitt bietet. Mit seinen niedrigen Budgets muss er hinter die Sehgewohnheit des an internationale Produktionen gewöhnte und des von ihnen verwöhnten Publikums zurückfallen. Dann werden Erfolge in der Tat zufalls- oder Genie-abhängig, wie das gern genannte Ausnahme-Beispiel "Lola rennt" zeigt. (Siehe auch Anlage 1)
  • Die Behauptung: Es gibt ein Nachwuchsproblem! - Das stimmt nicht! Das Problem des deutschen Kinofilms heißt nicht Nachwuchs, Nachwuchs gibt es reichlich und überzeugend. Das Problem heißt Braindrain des Filmnachwuchses in Richtung Fernsehen und Ausland. (Siehe auch Anlage 2)

Mit derartigen Positionen aus dem Nähkästchen werden nicht nur Fakten vernebelt. Hier wird im Grunde auch in Abrede gestellt, dass Erfolge machbar sind, dass Veränderung notwendig ist, dass Handeln Sinn macht und auf die Tagesordnung gehört. Wir wissen das Gegenteil: Mehr Erfolg für den deutschen Film ist machbar!

Und film20 bleibt dabei: Die Situation des deutschen Films lässt sich nur nachhaltig verbessern, wenn die deutschen Produktionsunternehmen wirtschaftlich gesund sind. Hierfür muss die Politik sorgen. Die Politik soll es den Unternehmen richten? Was paradox erscheint und langsam zum Ohrwurm wird, ist und bleibt richtig: Die deutsche Filmwirtschaft arbeitet unter vor Jahrzehnten gezimmerten politischen Rahmenbedingungen, die einen wirklich eigenverantwortlichen und selbstbewussten Auftritt deutscher Produktionsunternehmen verhindern. Deswegen wird die Politik heute selbstverständlich gebraucht für

  • die fehlende, aber notwendige rechtliche Präzisierung von Produzentenrolle und Produzentenposition;
  • die notwendige Reform der Medienordnung in Deutschland;
  • die Debatte über die Notwendigkeit, steuerlich die Filmwirtschaft als Zukunfts- und Wachstumsbranche gezielt zu unterstützen - vor allen Dingen, indem Anreize geschaffen werden dafür, dass ein großer Teil des für den Medienbereich zur Verfügung stehenden privaten Anlagekapitals die Entwicklung der deutschen Produktionsunternehmen und Produktionsstätten befördert und die Akkumulationsmöglichkeit für Produktionen mit großen Budgets und internationalem Standing stimuliert, statt Kapital in die vermeintlich unschlagbare Hollywood Konkurrenz abfließen zu lassen.

Diese "Baustellen" müssen im Zukunftsinteresse einer prosperierenden deutschen Medienwirtschaft insgesamt angepackt werden - sie sind definierte Arbeitsfelder für film20, aber in diesem Papier nicht unser Kernthema. Hier und heute konzentrieren wir uns auf ein weiteres Gebiet, in dem die Politik - selbstverständlich mit der tätigen Unterstützung der Branche - für Veränderung sorgen muss: die Filmförderung!

Mit der festen Überzeugung und dem gesicherten Wissen, dass Erfolge für den deutschen Film machbar und Veränderungen auch und gerade bei der Filmförderung notwendig sind, sehen wir vier Hauptziele, die eine Novellierung der Filmförderung anvisieren muss:

  • die Akkumulationsmöglichkeit von höheren Budgets für "Zugpferd"-Produktionen
  • mehr Markt statt Gremienentscheidung in der Filmförderung;
  • angemessene Berücksichtigung der dominanten Stellung des Free-TV als Verwerter im deutschen Markt beim Beitrag für die Kinofilmförderung;
  • Erhöhung von Handlungsspielraum, Eigenverantwortung, Refinanzierungsfähigkeit der Produzenten.

Wichtigster Hebel zur Stärkung der Produzentenverantwortung und zur Erhöhung von Erfolgsanreizen ist die Umkehrung des Verhältnisses von Projektförderung und Referenzfilmförderung, wie es derzeit in der deutschen Gesamt-Förderlandschaft besteht:

Im Grunde ist für die gesamte Förderlandschaft ein Verhältnis von 80 zu 20 zwischen Referenzfilmförderung und Projektförderung anzustreben. Dorthin zu gelangen bedeutet aber, einen längerfristigen Prozess der Überzeugungsarbeit und Umorientierung einzuleiten. Deshalb fordert film20 weiterhin, dass die Weichenstellung für eine Umstellung von Projekt- zu Referenzfilm-Förderung in der obengenannten Größenordnung
jetzt vorgenommen werden muss. film20 sieht aber ebenso die Notwendigkeit, den Produktionsunternehmen die Zeit für eine ökonomisch verantwortliche Umorientierung von Projektförderung auf Referenzfilmförderung zu verschaffen.

Selbstverständlich haben die Diskussionen seit November nicht nur retardierende oder ablenkende Effekte gehabt. Es gab interessante Anregungen, wichtige Neuerungen, die uns veranlassen, unsere Position zu präzisieren, zu modifizieren und zuzuspitzen.

film20 bleibt aber bei der Meinung, dass es NICHT mit der Justierung von kleineren Stellschrauben getan ist. Unser Motto bei der anstehenden Novellierung des FFG heißt:
Umschalten jetzt!

Die Forderungen

1. Massive Erhöhung des Selbsthilfefonds der Branche

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Dem Ziel, dem deutschen Film eine Produktion auf internationalem Niveau - nämlich mit höheren Durchschnittsbudgets - zu ermöglichen, muss sich auch die Filmförderung stellen. Davon muss sich zuerst die Branche gefordert fühlen: Eine massive Erhöhung des Selbsthilfefonds der Branche ist unabdingbar. Die Erhöhung muss für alle Beitragszahler nach innen gerecht erfolgen - dies auch deswegen, weil die Filmförderung durch die parafiskalische Abgabe dem Verfassungsgebot des Gleichbehandlungsgrundsatzes entsprechen muss.

Im Sinne einer gerechten Einzahlung in den Branchenfonds müssen die Nutzer der geschlossenen Verwertungskette in Zukunft einen gleichen Prozentsatz ihrer Verwertungserlöse an die FFA abführen. Das bedeutet:

  • für die Filmtheater 3 %
  • für Video/ DVD 3%
  • für Video on demand 3%
  • für Pay TV (near-video-on-demand) 3 %

2. Free TV als Nutzer angemessen einbinden

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Das Fernsehen profitiert in dreifacher Weise von einer erfolgreichen Kinofilm-Produktion:

  • als Programm
  • als Image-Faktor für die gesamte Medienindustrie
  • als Testfeld für Innovation

Ein auf den deutschen/deutschsprachigen Markt konzentrierter Fernsehbetrieb hat deshalb ein virulentes Interesse an einer erfolgreichen, lebendigen und künstlerisch und technisch innovativen deutschen Kinofilm-Produktion. Und das umso mehr, als vor dem Hintergrund ökonomischen Drucks verstärkt der Kauf einer "Katze im Sack" für das eigene Programm abgelehnt wird. All diese Aspekte machen das Fernsehen, insbesondere das Free TV, zu einem besonders interessierten Nutzer des deutschen Kinofilms - was sich in einem angemessenen Beitrag des Free TV für die Förderung des deutschen Kinofilms niederschlagen sollte.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Free TV nicht zur geschlossenen Verwertungskette gehört und dass das Free TV seinen Umsatz auch über andere AV-Produkte als Spielfilme erwirtschaftet, sollte der Beitrag hier - mit Augenmaß und nicht in dogmatischer Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes -
lediglich, aber auch mindestens der absoluten Höhe des Beitrags der Filmtheater an die FFA entsprechen.

An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass wir bei diesem Beitrag von der angemessenen und freiwilligen Teilnahme des Fernsehens an einem durch die FFA zentral verwalteten Branchenfonds sprechen. Wo Sender als Koproduktionspartner von Kinofilmen auftreten, handelt es sich um eine normale Geschäftspartnerschaft und nicht um Förderung.

Beim derzeitigen Stand der Debatte haben uns Forderungen von Senderseite, zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern zu unterscheiden, nicht überzeugt. Ebenso hat uns bisher nicht überzeugt, wenn von Seiten privater Sender in die Diskussion gebracht wird, den Förderbeitrag für den deutschen Film auch in Form von Werbeleistungen erbringen zu können. Offensichtlich sind dies aber bisher lediglich Denkansätze, die noch nicht den Charakter von Angeboten oder Konzepten haben. Deshalb wäre eine abschließende Bewertung derzeit auch unangemessen - das Feld ist in Bewegung, und das ist gut so.

Selbstverständlich kann man sich auch eine andere Bewertungsbasis für die Berechnung eines Förderbeitrags von Senderseite vorstellen als die von uns oben vorgestellte Orientierung an der Beitragshöhe der Filmtheater. Es könnte etwa sinnvoll sein, aus jeder Spielfilmausstrahlung einen pauschalen freiwilligen Beitrag für den Branchenfonds in Höhe von 5.000 ¤ anzusetzen (s. Anlage 3). Ebenso sinnvoll könnte es sein, 1 Cent pro Ausstrahlung/ pro Zuschauer als Ausgangspunkt für die Berechnung des freiwilligen Förderbeitrags für den deutschen Kinofilm zu betrachten (s. Anlage 4). In beiden Fällen würde im Übrigen nicht die Systemfrage öffentlich-rechtliche oder private Sender zum Ausgangspunkt des Förderbeitrags gemacht, sondern die absolute individuelle Sendernutzung von Kinofilmen.

Der Senderbeitrag für die Förderung des deutschen Kinofilmes hat den Charakter eines grundsätzlichen Commitments mit deutlich eigenem Nutzen. Er sollte nicht von kurzzeitigen konjunkturellen Schwankungen abhängig gemacht werden.

3. Das Verhältnis von Referenzfilmförderung zu Projektförderung

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

In Modifikation zum 20-Punkte-Programm von film20 vom November 2001 soll bei der FFA weiterhin beides angesiedelt bleiben: Referenzfilmförderung
und Projektförderung.

Allerdings muss sofort damit begonnen werden, der Fehlentwicklung des niedrigen Anteils von Referenzfilmförderung und des hohen Anteils von Projektförderung in der Förderlandschaft der Bundesrepublik insgesamt entgegen zu wirken. Weil es um die Stärkung des Anreizes für Markterfolg und um die Erhöhung der Autonomie des Produzenten geht, muss Referenzfilmförderung eine größere Rolle spielen. Das Verhältnis von Referenzfilmförderung zu Projektförderung soll deswegen bei der FFA in einem Zahlenverhältnis von 80 zu 20 eingependelt werden.

Um der Filmwirtschaft ein wirtschaftlich verantwortliches Reagieren auf das neue Denken zu ermöglichen, soll der absolute Betrag der Projektförderung bei der FFA in 2002 Ausgangsbasis für den Anpassungsprozess der Folgezeit sein. Um das vorgegebene Zahlenverhältnis zu erreichen, müssen die gesamten - durch die Erhöhung der Abgaben und die Erhöhung des freiwilligen Free-TV-Beitrags - erhobenen Mittel in die Referenzfilmförderung des Branchenfonds der FFA fließen, bis das gewünschte Verhältnis
Referenzfilmförderung:Projektförderung = 80:20 erreicht ist.

Dies ist eine politische Forderung, die im Gesetzgebungsverfahren der Novellierung des FFG noch konkret auszugestalten ist. An die Filmfördereinrichtungen der Länder wird gleichzeitig appelliert, in ihrer Förderpolitik ebenfalls die Wende zum verstärkten Erfolgsanreiz zu vollziehen.

Sollte eine breite Basis für eine verstärkte Referenzfilmförderung sich bis zur Novellierung des FFG nicht abzeichnen, muss hierauf kurzfristig reagiert werden. Dann müsste etwa der Vorschlag, die Projektförderung bei der FFA auf dem Niveau von 2002 einzufrieren, noch einmal überprüft werden. Denn das Umschalten auf mehr Erfolgsanreize durch massiv verstärkte Referenzfilmförderung darf nicht zum Lippenbekenntnis verkommen, sondern muss schnell und effektiv umgesetzt werden!

4. Reform der Referenzfilmförderung

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Die FFA-Referenzfilmförderung basiert derzeit ausschließlich auf dem Erreichen bestimmter Zuschauerzahlen im Inland. Auch film20 fordert die Einführung von multiplen Kriterien als Grundlage für die Zuerkennung von Referenzmitteln (sog. kriterienbasierte Referenzfilmförderung).

film20 stellt an dieser Stelle einen Kriterienkatalog für das Genre Spielfilm auf, regt aber an, über die Einführung dieser und weiterer spezifischer Kriterien auch für andere Genres wie Dokumentar-, Kinder-, Jugend- und Kurzfilm zu diskutieren.

4.1 Kriterien für die Referenzfilmförderung:

4.1.1 Kriterium Besuchererfolg in Deutschland
:

Die Honorierung des Erfolges an der Kinokasse bleibt erhalten: Referenzmittel sollen für Filme zuerkannt werden, die mindestens 100.000 Zuschauer im Inland erreicht haben. Die Zahl der höchstens zu berücksichtigenden Zuschauer wird auf 1,5 Mio. Zuschauer angehoben. Die Deckelung der absoluten Höhe von derzeit 4 Mio. DM (ca. 2 Mio ¤) entfällt.

4.1.2 Kriterium Exporterfolg:

Maßgeblich für den Exporterfolg sind die von der deutschen Exportorganisation (derzeit: Export-Union) testierten Auslandserlöse des Produzenten nach Abzug der Vertriebskosten. Auslandserlöse entstehen in aller Regel durch den paketweisen Verkauf aller Rechte (Kino, Video/DVD, Pay-TV, Free-TV) nach Weltterritorien.

Honorierung des Exporterfolges: Für Exporterlöse von 100.000 ¤ bis 1,5 Mio ¤ (gedeckelt) werden Referenzmittel von 50% der jeweiligen Erlöse gewährt.

Ein durchaus erwünschter Nebeneffekt ist die Steigerung der Beitragsehrlichkeit gegenüber der nationalen Exportorganisation.

4.1.3 Kriterium Festivalerfolg:

Künftig sollen folgende Festivalerfolge bei der Zuerkennung von Referenzmitteln berücksichtigt werden:

  • Teilnahme am Wettbewerbsprogramm eines der so genannten A-Festivals gemäß der für die FFA verbindlichen FIAPF-Liste (Berlin, Cannes, Kairo, Karlovy Vary, Locarno, Mar del Plata, Moskau, Montreal, Tokio, San Sebastian, Shanghai, Venedig)
  • Nominierung für den Europäischen Filmpreis ("Bester Film", "Bester Kurzfilm")
  • Nominierung für den Golden Globe und entsprechend BAFTA, César oder Goya ("Bester ausländischer Film")
  • Nominierung für den Academy Award ("Oscar")

Honorierung des Erfolges: Der Produzent erhält einen Fixbetrag von 100.000 ¤. Außerdem senkt sich die Schwelle bei dem Kriterium "Besuchererfolg im Inland" von 100.000 auf 50.000 Zuschauer und beim Kriterium "Exporterfolg" von 100.000 ¤ auf 50.000 ¤. Die Bewertung durch die Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW) entfällt.

4.2 Zeitraum für die Verwendung der Referenzmittel

Der Anspruch auf Referenzfilmförderung entsteht in den ersten drei Jahren nach dem Kinostart eines Filmwerkes. Der Zeitraum für den Einsatz von Referenzmitteln wird ebenfalls auf 3 Jahre festgelegt. Die Frist beginnt mit der Mitteilung auf Zuerkennung von Referenzmitteln durch die FFA.

Dieses Verfahren wird hier für den Spielfilmbereich beschrieben, soll aber nicht hierauf begrenzt bleiben, denn bei den verschiedenen Filmarten (etwa Kurzfilm, Kinderfilm, Dokumentarfilm) haben sich die Auswertungszeiten und -formen weitgehend angenähert.

5. Reform der Projektförderung

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

5.1 Einleitung

Die Projektförderung bei der FFA soll erhalten, allerdings unbedingt auch reformiert werden. Folgende Aspekte stehen dabei im Vordergrund:

  • Die Stärkung der Position des Produzenten als Entscheider über die Umsetzung eines Projekts.
  • Die Effektivierung und Professionalisierung bei der Vergabe von Projektförderung.
  • Die Förderung der FFA ist immer dem Markterfolg verpflichtet. Die Projektförderung muss zusätzlich in besonderer Weise darauf achten, dass dem Markt in allen Genres (Komödie, Krimi, historischer Film usw.) Qualitätsprodukte zugeführt werden.

5.2 Reform der Vergabekommission

Im Interesse der Effektivierung der Gremienarbeit sowie der Verstärkung der Unabhängigkeit des Produzenten wird folgende Zusammensetzung und Arbeitsweise gefordert:

Die Anzahl der Mitglieder der Vergabekommission ist von 9 auf 7 zu reduzieren. Die Interessenverbände verlieren ihr Vorschlagsrecht für die Vergabekommission. Die Vergabekommission wird mit verbandsunabhängigen Experten besetzt, die für zwei Jahre benannt werden.

Die Experten der Vergabekommission könnten vor dem Hintergrund der oben getroffenen allgemeinen Einordnung von Projektförderung aus folgenden drei Kompetenzgruppen stammen:

Gruppe I: Schwerpunktkompetenz "Film als Kulturgut"

  1. 1 Festivalleiter eines Filmfestivals (Vorschlagsrecht: BKM)
  2. 1 Filmkritiker (Vorschlagsrecht: Deutscher Journalistenverband)

Gruppe II: Schwerpunktkompetenz "Zielgruppennähe"

  1. 1 Spielfilm-Fernsehredakteur eines öffentlich-rechtlichen oder privaten Fernsehsenders (Vorschlagsrecht: Öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender)
  2. 2 Studenten einer deutschen Filmhochschule (Vorschlagsrecht haben alle deutschen Filmhochschulen reihum)

Gruppe III: Schwerpunktkompetenz "Film als Wirtschaftsgut"

  1. Ein Anwalt oder Wirtschaftprüfer aus dem Entertainmentsektor oder ein Filmmarketingexperte (Vorschlagsrecht: FFA)
  2. Eine Lehrkraft mit Schwerpunkt Filmwirtschaft / Produktion (Vorschlagsrecht haben die Filmhochschulen reihum)

Alle Vorschläge gehen an das BKM, das als Rechtsaufsicht der FFA die Mitglieder der Vergabekommission benennt. Damit bleibt die Legitimation der Förderentscheidungen der FFA durch Zuerkennungsbescheide erhalten.

Im Interesse von Wechsel und Kontinuität rotiert die Hälfte der Mitglieder jeder Gruppe nach 2 Jahren. In der ersten Etappe nach Neueinführung der Regelung gibt es für die 2. Hälfte jeder Gruppe eine dreijährige Amtszeit.

5.3 Einführung von Lektoraten

Die Sitzungen der Vergabekommission sollen durch Lektorate der eingereichten Drehbücher vorbereitet werden.

Pro Projekt holt die FFA aufgrund der anonymisierten Drehbuchvorlage jeweils drei unabhängige Lektorate ein. Die Lektoren arbeiten nach einheitlichen Kriterien (etwa den Standardlektoraten des Filmboard Berlin-Brandenburg). Sie entstammen einem Pool, der bei der FFA geführt wird. Damit wird die Entscheidungsgrundlage der Mitglieder der Vergabekommission fachlich unterstützt.

5.4 Anerkennung des Erfolges der Projektförderung

Die aus den Erlösen projektgeförderter Filme an die FFA zurückgezahlten Fördermittel werden mit einem Bonus von 100% den Produzenten erneut zur Verfügung gestellt. Diese Mittel stehen dem Produzenten wie Referenzmittel - d. h. ohne eine Entscheidung der Vergabekommission - zur Verfügung und können sowohl für die Herstellung eines neuen Films als auch für die Projektentwicklung verwendet werden.

film20 spricht die Empfehlung aus, dass mit den Länderinstitutionen über eine Übernahme dieses Systems verhandelt wird.

6. Erhöhung des Handlungsspielraums des Produzenten
Hier: Erweiterung der Verwendung von Referenzmitteln

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Referenzmittel sollen auch für die Professionalisierung der Produktion im breiteren Rahmen eingesetzt werden können. Die Entscheidung hierüber liegt allein beim Produzenten. Die Höhe der für Projektentwicklung, Rechteerwerb und Testscreenings (sowie deren Auswertung in der Postproduktion) verwendeten Referenzmittel soll 250.000 ¤ nicht überschreiten.

Die Vergabe von Referenzmitteln für Projektentwicklung, Rechteerwerb und Testscreenings unterliegt den gleichen Voraussetzungen wie die Vergabe der Produktionsförderung durch Referenzmittel insgesamt - sie steht in der freien Verfügbarkeit des Produzenten ohne gesonderten Beschluss der FFA-Verwaltung.

7. Erhöhung des Handlungsspielraums des Produzenten
Hier: Verbesserung der Rechtesituation und des Refinanzierungspotentials

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

So sehr die Filmförderung für die deutsche Filmwirtschaft angesichts der Übermacht der amerikanischen Konkurrenz auf dem Weltmarkt notwendig ist, so sehr muss trotzdem darauf geachtet werden, dass mit den Förderbedingungen die Basis für den eigenen wirtschaftichen Input des Produzenten nicht geschwächt, sondern gestärkt wird. Das betrifft insbesondere das Verhältnis von Kinofilmproduzenten zum wesentlichen Abnehmer im deutschen Markt, dem Fernsehen.

Damit das Verhältnis von Rechteübertragungszeit und Kofinanzierungshöhe ausgewogen ist und dem Produzenten eine Refinanzierung durch verschiedene Verkäufe seines Produktes ermöglicht, soll es nach dem Prinzip 3 : 3 : 1/3 funktionieren:

  • Die maximale Erstlizenzzeit beträgt 3 Jahre, danach vollständiger Rechterückfall an den Produzenten.
  • Maximal sind bei FFA-geförderten Filmen 3 Ausstrahlungen im Free-TV erlaubt.
  • Für diese Rechteübertragung wird vom begünstigten Sender ein Kofinanzierungsbeitrag von 1/3 der Herstellungskosten verlangt.

Alle oben genannten Positionen sind gegeneinander aufrechenbar, damit die Vertragspartner - also Sender und Produzenten - bei der Ausstattung des einzelnen Produktes einen größeren Verhandlungsspielraum haben.

8. Erhöhung des Handlungsspielraums des Produzenten
Hier: Reform der Sperrfristen-Regelung (Holdbacks):

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Die Spielräume für die Verhandlungspartner Produzent und Verleih-/Vertrieb müssen erweitert werden: Dauer und Verkürzungen der Sperrfristen im Rahmen der festgelegten Verwertungsfenster soll der Produzent in Zukunft uneingeschränkt mit dem Verleih oder Vertrieb verhandeln können. Die Förderinstitutionen sind dann in diese Entscheidungsprozesse nicht mehr einbezogen. Ihnen sind Dauer und eventuelle Verkürzungen der Fristen allerdings im Voraus mitzuteilen.

Diese Forderung gilt genauso für die Projektförderung und sollte analog auch für die Länderinstitutionen diskutiert werden.

9. Reform der Erteilung deutscher Ursprungszeugnisse

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ist seiner Aufgabe, die Produktions- und Exportfähigkeit deutscher Filme zu unterstützen, nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Das BAFA hat durch fehlende Branchenkompetenz die Arbeit der Produzenten vielmehr erschwert. Künftig sollen alle filmproduktionsbezogenen Kompetenzen des BAFA (Erteilung von Bescheinigung als deutscher Film nach §§ 16, 16a und 17 FFG sowie die Erteilung eines Ursprungszeugnisses als Exporterlaubnis nach dem Außenwirtschaftsgesetz) bei der FFA angesiedelt sein, wo die fach- und filmspezifische Sachkenntnis vorhanden ist. So wird vermieden, eine neue Instanz für die Prüfung von Produktionssachverhalten außerhalb der FFA aufbauen und finanzieren zu müssen.

10. Sitz der deutschen Export-Organisation

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Die Export-Organisation für den deutschen Film nimmt ihren Sitz in Berlin. Die Begründung liegt auf der Hand: Berlin bietet die Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern, zum Standort internationaler Verbände und diplomatischer Vertretungen und ist zu guter Letzt Sitz der Internationalen Filmfestspiele (Berlinale).

11. Das politische Commitment für den deutschen Film stärken
Hier: Der Finanzbeitrag des BKM

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Die Förderung des deutschen Films durch den Bund über das BKM ist mit rund 6 Mio. ¤ derzeit absolut unzureichend und um ein Mehrfaches zu erhöhen. Bezugsgröße für die kulturelle Filmförderung des Bundes soll die absolute Geldgröße des Beitrags der Filmtheater wie des Free TV sein. Der Betrag wird regelmäßig angepasst. Dabei ist bei immer möglichen Schwankungen der Kinobesucher-Zahlen jede krisenverstärkende Wirkung zu vermeiden.

12. Image und Auftritt des deutschen Films stärken
Hier: Das Projekt "Deutsche Filmakademie"

(Stellungnahme von Roland Schmidt, MSH)

Die "Deutsche Filmakademie" ist ein Zukunftsprojekt der deutschen Filmindustrie. Sie verteilt keine Finanzmittel, sondern Preise. Sie ist keine Ausbildungsstätte. Sie begleitet und fördert den deutschen Film.

Der Aufbau dieser Institution nach dem Vorbild der den "Oscar" verleihenden Academy of Motion Picture Arts and Sciences muss jetzt angegangen werden. Das Konzept ist in Arbeit. Die Politik ist und bleibt aufgefordert, diese Entwicklung zu unterstützen.

Berlin, am 18./22. April 2002

Georgia Tornow
Generalsekretärin film20

Anlagen:

zurück zum Inhalt