20. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest

In seinem 20. Jahr blickt das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest (11. bis 16. November) mit Stolz auf seine Geschichte zurück. Den Impuls gab 1982 ein von engagierten Filmemachern initiiertes „Reisendes Dokumentarfilmfest“, das durch Deutschland tourte, um diesem Genre im Kino eine Chance zu geben. Die Idee wurde von den Filmladen-Machern aufgegriffen; seit 1984 ist jedes Jahr im Herbst in Kassel Dokumentarfilmzeit.

Die Frage nach den Distributionswegen hat das heutige Profil des Festivals geprägt: Als Video sich zu dem Produktionsmedium zu etablierten begann, wurde es von der Gegenöffentlichkeitsbewegung genauso wie von Künstlern genutzt. In der Filmszene war Video anfangs verpönt; doch in Kassel erkannte man das inhaltliche und ästhetische Potenzial von Video und richtete dem Medium bereits 1989 eine eigene Sektion ein. Die Möglichkeit, das Internet als „Kanal“ für Inhalte jenseits des Mainstreams zu nutzen, beschäftigte 1995 eine illustre Runde von Tagungsteilnehmern, die sich auf dem Kasseler Fest zur Fachtagung „interfiction“ trafen. Hier wurde bereits zu einer Zeit über das Internet nachgedacht, als für die meisten E-Mail noch ein Fremdwort war. Auch „interfiction“ ist seitdem ein fester Bestandteil des Festivals.

Das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest hat die Medienentwicklung immer im Auge behalten, dem Nachwuchs und künstlerischen wie filmischen Grenzgängen eine Forum gegeben, ohne dabei den Fokus auf das Dokumentarische zu verlieren. Immer getragen von der Leidenschaft seiner vielen Macherinnen und Macher ist es heute ein national und international anerkanntes Film- und Medienfestival. Auch wenn seit mittlerweile drei Jahren Preise vergeben werden und aus dem Fest endgültig ein Festival geworden ist, gilt immer noch, dass nicht die Premiere eines Filmes oder große Namen der Autoren im Vordergrund stehen, sondern zuerst das Thema - genau wie im Dokumentarfilm.

Programm

Mit einer Reminiszenz an die Vergangenheit wird das Festival am 11. November eröffnet. In einer filmischen Zeitreise werden Videos und Filme aus vorangegangenen Festivaljahren, ergänzt um aktuelle Produktionen, zu sehen sein. An den folgenden Tagen präsentiert das Festival in den BALi Kinos, im Filmladen und im Gloria 51 Programme mit 36 Filmen und 176 Videos sowie 17 Medieninstallationen im Südflügel des KulturBahnhofs, die aus einer Rekordzahl von 1700 Einreichungen aus 58 Ländern ausgewählt wurden.

Als ein Schwerpunkt zeichnet sich dieses Jahr das Thema Stadt und Urbanität ab. Die Reihe „Stadt nach Maß” vereint vier Film- und Videoprogramme, die sich dem öffentlichen Raum, selbstorganisierten städtischen Strukturen sowie urbanen Wohn- und Lebensverhältnissen widmen. In DIE KALTE PLATTE z. B. beschreiben die Filmemacher mit inhaltlicher Dichte und ästhetischer Vielfalt die Prozesse und den Streit um Abriss und Neugestaltung des in der Stuttgarter Innenstadt gelegenen Kleinen Schlossplatzes. Fabienne Boesch porträtiert in DER KOMPLEX Menschen, die in einer Zürcher Hochhaussiedlung wohnen, während GECEKONDU von einem uralten Siedlungsrecht in Istanbul erzählt, das es erlaubt, den Platz zu behalten, an dem über Nacht ein Haus gebaut wird.

Die aktuell-politische Debatte um Globalisierung und Grenzen greifen die Programme „Die andere Seite”, „Signale aus der Multitude” und „Doppelbelichtungen Palästina/Israel” auf und Karin Jurschick deckt in DIE HELFER UND DIE FRAUEN die Auswüchse des internationalen Frauenhandels in Bosnien und die Rolle, die die UNO-Truppen dabei spielen, auf. Den Irak-Krieg behandeln die Videos von „Aufzeichnungen aus Kriegszeiten”. Im Protest gegen diesen Krieg, haben sich vor allem die Schüler hervorgetan. Das im Rahmen eines Medienprojektes von Schülern entstandene Video HALLO KRIEG zeichnet die Eindrücke irakischer, deutscher und amerikanischer Jugendlicher auf.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden zeitgeschichtliche Porträts. Mit TESTAMENTO erzählen Uli Stelzner und Thomas Walther die bewegende Lebensgeschichte des 83-jährigen Rechtsanwalts Alfonso Bauer Paíz, der seit mehr als einem halben Jahrhundert als überzeugter Sozialist und Freimaurer gegen soziale Ungerechtigkeit in seinem Heimatland Guatemala kämpft. Das Zeitdokument avanciert derzeit zum erfolgreichsten Dokumentarfilm in der Geschichte Guatemalas. In MUTTER erzählt Miklós Gimes die Geschichte seiner Mutter, die nach dem Ungarnaufstand von 1956 mit ihrem sechsjährigen Sohn in die Schweiz flüchtet. Regisseur Sebastian Winkels lässt 7 BRÜDER in der Sterilität eines Filmstudios ihre faszinierende Familiengeschichte erzählen. Weitere Familienkomödien wie -schicksale finden sich in den Programmen „Im Kreis der ’Lieben’” und „Ahnenforschung”.

Die Themen Nationalsozialismus und Rechtsradikalismus behandeln EWIGE SCHÖNHEIT von Marcel Schwierin, ein Essay über die Ästhetik des nationalsozialistischen Films, SOBIBOR, 14. OKTOBER 1943, 16 UHR von Claude Lanzmann über den einzigen erfolgreichen KZ-Aufstand sowie BERNAU LIEGT AM MEER (Martina Döcker) über einen straffälligen jungen Neonazi und seine Schwierigkeiten, den Gewaltkreislauf zu durchbrechen.

Zwei Filme geben einen anderen Blick auf das Leben mit Behinderung. Das Regieduo Mischka Popp und Thomas Bergmann, soeben ausgezeichnet mit dem Hessischen Filmpreis, nimmt den Zuschauer in AUGENLIED mit auf eine Reise durch Europa, wo er Blinden begegnet, die ihren eigenen Blick auf die Welt darlegen. Helen Wild und Frank Breidert lassen in LEICHTER ALS ICH drei Menschen mit körperlicher oder geistiger Einschränkung zu Wort kommen und sich selbst mit der 8mm-Kamera ausdrücken.

Neben den ernsten Themen steht auch jede Menge Unterhaltung auf dem Programm. Musikalisch und beschwingt wird es nicht nur bei den GOLDEN LEMONS, den DAMEN UND HERREN AB 65 oder im Programm „Der schöne Schwung”, sondern auch bei der Festivalparty mit der BEAUTIFUL CREW, die eine Disconacht der besonderen Art zaubert.

Als Sonderveranstaltungen präsentiert das Festival außerdem eine Werkschau von Bjørn Melhus, sowie drei Programme mit neuen Arbeiten aus Nordhessen. Hessische Autor/innen sind insgesamt mit 34 Arbeiten vertreten.

Die beim Kasseler Festival etablierte Diskussionskultur wird auch dieses Jahr gepflegt. Die Vorführungen in den Festivalkinos werden nicht nur das Publikum, sondern traditionell auch zahlreiche Filmemacher und Künstler aus dem In- und Ausland anlocken.

MONITORING

MONITORING präsentiert 17 Medieninstallationen in der Ausstellungshalle Südflügel und weiteren Orten des Kasseler KulturBahnhofs. Um den von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen gestifteten „Golden Cube” für die beste Medieninstallation konkurrieren 15 Arbeiten. Thematisch lässt sich die Ausstellung mit den Begriffen „Urbanität” und „Überwachung” klammern. Hier sind u. a. Harun Farocki und Corinna Schnitt vertreten. Darüber hinaus zeigt MONITORING Arbeiten von Bjørn Melhus und Joel Baumann (tomato), die beide im Wintersemester 2003 ihre Professuren an der Kunsthochschule Kassel antreten.

Fachtagung interfiction

Heiß diskutiert wird vom 14. bis 16. November in drei Vorträgen und einem zweitägigen Seminar bei der Fachtagung interfiction, die sich diesmal unter dem Motto „filesharer values - Ökonomien des (Aus-)Tauschs” mit den Utopien und Realitäten der Kulturproduktion befasst. Im Zusammenhang mit dem Phänomen Tauschbörsen werden Fragen erörtert wie „Wie wichtig ist der Schutz von geistigem Eigentum und wie weit trägt dieser Begriff unter Netzbedingungen überhaupt?” Außerdem sollen die Funktionsprinzipien und Ökonomien des Tausches analysiert werden.

Preise

Erstmals werden in diesem Jahr gleich drei mit jeweils 2500 Euro dotierte Preise vergeben: Den herausragenden Stellenwert der auf dem Festival gezeigten Medienkunst würdigt der neu eingeführte „Golden Cube” der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen. Die Tageszeitung HNA prämiert die beste nordhessische Filmproduktion mit dem „Goldenen Herkules”. Die Stadt Kassel fördert den „Goldenen Schlüssel” für eine überragende dokumentarische Nachwuchsarbeit. Für den innovativen Einsatz digitaler Medien wird außerdem das Werkleitz-Projektstipendium ausgeschrieben. Insgesamt 75 Beiträge aus dem Festivalprogramm haben eine Nominierung für einen der Preise erhalten.

Jubiläums-DVD und Katalog

Die Jubiläums-DVD erscheint zum Festival und ist gegen eine Schutzgebühr von 15 EUR erhältlich. Sie vereint zum einen alle Trailer und Plakate des Festivals. Zum anderen wurden befreundete Film- und Videomacher um ein „Geschenk” gebeten. Zusammengekommen sind 21 Filme und Videos aus 20 Jahren Festival, die einen spannenden Querschnitt durch das deutschsprachige Dokumentarfilm- und Videoschaffen bieten, darunter Arbeiten von Egon Bunne, Riki Kalbe und Barbara Kasper, Rotraut Pape oder Jan Schütte. Ab 1. November ist der Festivalkatalog erhältlich.

Website: www.filmladen.de/dokfest.

(nach einer Pressemitteilung des Dokumentar- und Videofestes Kassel)

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