Spione, Agenten, Verschwörer, Saboteure

Bericht über die Spionagefilmtagung vom 2. und 3. Oktober 2003 in Kiel

Das Genre des Spionagefilms grenzt an eine ganze Reihe anderer Genres an - den Kriegs- und Anti-Nazifilm, den Polit-Thriller und den Action-Film -, hat manche Subgenres wie den Agentenfilm, den Geheimdienstfilm oder den Verschwörungsfilm. Seit seinen Anfängen ist er eng mit der realen politischen Zeitgeschichte verbunden. Am 2. und 3. Oktober fand an der CAU Kiel eine ebenso lebhafte wie thematisch weite Tagung zur Geschichte und Ästhetik des Spionagefilms statt, die versuchte, die ganze Breite des Feldes abzuschreiten. Die Beiträge gaben Einblick in die Geschichte des britischen, amerikanischen, deutschen und sogar spanischen Spionagefilms.

Die Etablierung des Spionageromans beginnt in England zu Zeiten des Höhepunkts der modernen Kolonialreiche zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Schon früh war neben den Bezügen zur Ermittlungsarbeit Scotland Yards die weltpolitische Maxime der britischen Politik, eine „Balance of Power” anzustreben und zu stabilisieren, als Hintergrund der großen Popularität derartiger Stoffe spürbar. Der Film nahm sich erst nach dem ersten Weltkrieg der Spionagethemen an - mit den Filmen zum Mata-Hari-Fall und vor allem mit Fritz Langs „Spione” (1927). Die ersten großen Spionagefilme entstanden in den 30er Jahren in England, Filme wie Hitchcocks „Sabotage” (1936) oder sein „The Thirty-Nine Steps” (1935). Seitdem hat sich das Genre beständig weiterentwickelt und dabei sensibel auf die Veränderungen der Politik reagiert.

Immer bleibt der Spionagefilm seiner britischen Abstammung verpflichtet, auch wenn es in Frankreich, Deutschland und den USA seit den 1950er und 1960er Jahren eine regelmäßige Spionagefilmproduktion gegeben hat. „Britishness“ ist insbesondere spürbar in den ironischen Variationen der Muster der Spionage in Serien wie „The Avengers” („Mit Schirm, Charme und Melone”) oder den James-Bond-Filmen.

Eine ganze Reihe von Spionagefilmen gehören zum Anti-Nazi-Film, der mit den Mitteln des Unterhaltungskinos Propaganda gegen den deutschen Nationalsozialismus machte. Hier fällt auf, dass die Filme die Geschlossenheit der Illusion immer wieder aufbrechen, wenn ihre Helden flammende Reden für Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit halten. Nach dem Krieg brach schon bald der Kalte Krieg aus - und Filme wie „Red Menace” von 1948 oder „I Was A Communist For The FBI” von 1951 malten vom Kommunismus ausgehende Gefahren an die Wand, vor allem die schleichende Unterwanderung der amerikanischen Gesellschaft durch kommunistische Verschwörer. Das Genre bleibt in den folgenden Jahrzehnten paranoid orientiert. Das Kennedy-Attentat von 1963 und der Watergate-Skandal 1972 rufen das Verschwörungsthema wie aber auch Überlegungen zu Spionagemethoden in die öffentliche Diskussion. Seit den 70er Jahren richtet sich der Kampf der Film-Agenten nicht mehr nur nach außen, sondern auch nach innen. Die persönliche Bedrohung der Agenten wächst an, weil sie sich auf doppeltem oder dreifachem Boden bewegen, die Feinde oder Verschwörer können auch im eigenen Lager, gar in der eigenen Organisation arbeiten. In jüngster Zeit haben sich im Kino besonders die Einflüsse des internationalen Terrorismus als Reaktion auf den 11. September noch einmal verstärkt.

Bei so vielen verschiedenen internationalen politischen Einflüssen auf den Spionagefilm lag eine Verallgemeinerung auf der Hand: Die Welt des Spionagefilms befindet sich latent im Krieg.

Inmitten der kriegführenden Parteien, die in einigen Filmen oft schon gar nicht mehr explizit genannt werden, steht der Agent als Person. Seine Stellung und Entwicklung in der sozialen Welt der Spionage-Filme, aber auch in den Maschinerien und Bürokratien der kriegführenden Parteien ist besonders interessant. Im Anti-Nazi-Film ist ein Spion mit flachem Charakter ausreichend, da es seine einzige Aufgabe ist, exemplarische Werte darzustellen. Gerade die Stereotypie und Plakativität der Genrefigur des Spions wird im späteren, schnell eigenständig werdenden Agentenfilm zum Motiv des Zuschauers, die Filme und ihre Figuren wie Figuren eines der Realität abgehobenen Spiels aufzufassen und als Unterhaltungsangebot zu genießen; als wohl prägnantestes Beispiel möge die James-Bond-Figur gelten.

Existentialistische Aspekte der Person Agent werden besonders in den 60er und 70er Jahren herausgearbeitet, z.B. in den Spionagefilmen „The Ipcress File” (1965) und „The Spy Who Came In From The Cold” (1965) oder den Verschwörungsfilmen „Three Days Of The Condor” (1975) oder „The Conversation” (1974). Die Frage nach der Identität des Agenten beschäftigt nicht mehr nur die gegnerische Partei oder den Zuschauer, sondern auch den Agenten selbst. Er mag zwar einen unterstützenden Staatsapparat hinter sich haben, aber dieser kann seine Verlässlichkeit verlieren oder sogar zu seinem tödlichen Verfolger werden. So auf sich allein gestellt, entwickelt sich der persönliche Kampf zum Auftrag. Auch muss der Agent den Konflikt der Mächte internalisieren, was ihn zu einer zutiefst moralischen Figur macht, die an ihrem inneren moralischen Problem zu zerbrechen droht. In den wenigen Filmen mit weiblichen Spioninnen kommt zu den Existenzfragen des Agenten die Frage nach den erweiterten Spionage-Möglichkeiten des weiblichen Geschlechts in einer reinen Männergesellschaft hinzu.

Die Doppelbödigkeit der Wirklichkeit, die innere und äußere Unsicherheit der Protagonisten und die Auswirkungen dieser Realitätskonstruktion auf Agent, Film und Zuschauer wurde auf der Tagung in zahlreichen Facetten diskutiert. Ein weites Feld von gleichzeitig psychologischen, dramaturgischen und existentialistischen Aspekten ist zu untersuchen. Viele Fragen zum Spionagefilm wurden beantwortet. Die Beiträge lieferten aber auch Stoff für kontroverse Diskussionen. So blieb in der Abschlussdiskussion insbesondere die Frage offen, wie man das Spannungsfeld zwischen Politthriller und Spionagefilm auflösen und generell das Genre des Spionagefilms von seinen Subgenres abgrenzen kann - zumal es ein stabiles intuitives Verständnis dessen gibt, was ein „Spionagefilm“ ist. (Simone Vrckovski)

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