54. Internationale Filmfestspiele Berlin

Das Boot ist voll

Das Boot ist voll (Markus Imhoof, CH 1981, restaurierte Fassung)

So haben schon viele Filme begonnen. In stockdunkler Nacht stehlen sich beim Halt eines Zuges eine Handvoll Menschen aus ihren Verstecken und verbergen sich am Bahnhang, um bald der vermeintlichen Freiheit entgegen zu laufen. Es sind jüdische Flüchtlinge und ein Deserteur, die aus Nazi-Deutschland in die neutrale Schweiz gelangen wollen. Tatsächlich können sie sich schließlich im Schuppen einer Gastwirtschaft verstecken, werden von der Hausherrin entdeckt und sogar verpflegt. Die Wirtin und ihr Mann schwanken zwischen Misstrauen, Unschlüssigkeit und dem Wunsch zu helfen. Doch schließlich greift die Staatsgewalt ein: Der örtliche Polizist sorgt dafür, dass die Gruppe ganz der damaligen Schweizer Gesetzeslage gemäß zurück nach Deutschland geschickt wird.

Regisseur Markus Imhoof erweckte mit seinen Plänen, diesen Film zu machen, Anfang der 80er Jahre in der Schweiz alle erdenklichen Widerstände. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Asylpraxis der Schweiz im 2. Weltkrieg fand damals nicht statt. Die Finanzierung des Filmes, so Imhoof, sei nur durch einen wohlhabenden Freund ermöglicht worden. Dies wurde reich belohnt: 1981 erhielt Imhoofs Werk auf der Berlinale einen Silbernen Bären, ein Jahr später eine Oscar-Nominierung. Desto erstaunlicher, dass keine intakte Kopie des 16mm-Films aufzufinden war, als „Das Boot ist voll“ 1997 im Rahmen der Diskussion um den Umgang von Schweizer Banken mit den Geldkonten ermordeter Juden neues Interesse erweckte. Einzig in Rom lagerte eine stark beschädigte 35mm-Kopie, die in siebenjähriger Arbeit restauriert und digitalisiert werden konnte. Nur dieser - größtenteils aus privater Hand finanzierten - Maßnahme ist es zu verdanken, dass dieses Dokument der Filmgeschichte im Rahmen der Reihe „Berlinale Special“ zu sehen war.

Weder diese Hintergründe noch die Zusammenfassung des Inhalts können jedoch das eigentlich Faszinierende an der Umsetzung der unspektakulären und doch groß dimensionierten Geschichte aus „Das Boot ist voll“ erfassen. Den Zuschauer erwartet kein Melodram à la „Schindlers Liste“, eher das Gegenteil. Obwohl die Schauspieler auch dazu das Zeug hätten, allen voran der greise Curt Bois und Tina Engel, die eine junge Berliner Jüdin auf der Suche nach ihrem in der Schweiz internierten „arischen“ Mann verkörpert. Imhoofs Szenerie wirkt unmittelbar und echt, die Spannung lässt nicht nach, manche Szenen sind voller Situationskomik. Die Atmosphäre ist dicht, da würde Filmmusik geradezu stören. Sie habe während der Dreharbeiten die Bedrohung der gespielten Geschichte empfunden, sagt die junge Dame, die die damals zwölfjährige Enkelin von Filmgroßvater Curt Bois darstellte. Dem ist nichts hinzuzufügen. (gls)

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