Kampf der Welten

Das Traum-Kino zeigt Ken Loachs Berlinale-Erfolg „Just a Kiss“

Romeo heißt Casim (Atta Yaqub), ist der einzige Sohn pakistanischer Einwanderer, die in Glasgow leben, und verdient sein Geld als DJ. Julia heißt Roisin (Eva Birthistle), aus Nord-Irland stammende Musiklehrerin an der katholischen Schule, wo Casims Schwester Tahara leidenschaftliche Reden gegen den latenten Rassismus der „Einheimischen“ gegenüber den zugewanderten „Pakis“ schwingt. Regisseur Ken Loach lässt in „Just a Kiss“ (Ae Fond Kiss) diese beiden Welten aufeinander prallen und strickt aus diesem „Clash of Cultures“ eine ganz klassische Romeo-und-Julia-Geschichte.

Die ist modern, weil das Thema in der Luft liegt. Sieht man einmal vom Nordirland-Konflikt ab, dem sich Loach mit „Land & Freedom“ bereits 1995 gewidmet hatte, stehen spätestens seit dem 11. September 2001 religiöse Konflikte auf der globalisierten Tagesordnung auch der „Ersten Welt“. Was den Deutschen die türkischen Einwanderer sind, heute in der 3. Generation, sind für die Schotten die Pakistani - ungeliebte und doch unverzichtbare Mitbürger. Obwohl weitgehend integriert hält Casims Familie die Traditionen und den islamischen Glauben hoch. Casim wurde seiner Cousine versprochen, die Heirat steht unmittelbar bevor, als er Roisin kennen und lieben lernt. Die Liebe ist heftig, markerschütternd - aber kurz, denn Casim muss die „Goree“ (weiße Frau, Ungläubige) vor seiner Familie verheimlichen. Nicht viel anders ist Roisin Gefangene von Konventionen. Die katholische Kirche duldet keine „wilde Ehe“ mit einem Muslim, schon gar nicht bei einer Lehrerin an einer katholischen Schule. So sieht sich das Liebespaar vor die klassisch-tragödische Wahl gestellt: Familie und Traditionen oder die Liebe gegen alle Widerstände leben.

Liebespaar aus unterschiedlichen Welten: Roisin (Eva Birthistle, oben) und Casim (Atta Yaqub)

Loach inszeniert diesen Kampf der Welten (der äußeren sozialen wie der inneren der Gefühle) als beinahe aussichtslosen. Der Konflikt beider Protagonisten (gespiegelt in dem von Tahara mit ihrer Familie - sie will Journalismus studieren, undenkbar für ein pakistanisches Mädchen ...) scheint nicht lösbar. Fast schon quälend strecken sich die Wechsel von Trennung und doch nicht voneinander Lassen Können über dennoch stringent erzählte 103 Filmminuten. Die Unlösbarkeit des Konflikts - das Happy End scheint brüchig, als bloß vorläufiger Waffenstillstand im Kampf der Welten - nehmen Loach und Drehbuchautor Paul Laverty bewusst in Kauf. Denn sie verweigern allzu simple Parteinahmen. Hier wird nicht die große Liebe gegen den Kleingeist traditionsvergatterter Ewiggestriger gestellt. Nein, Loach verwendet viel Filmzeit auf die Schilderung der Situation und Geschichte der Einwandererfamilie. Casims Vater wurde einst 1947, beim Zerfall des indischen Subkontinents in das hinduistische Indien und das islamische Pakistan - ein nach wie vor schwelender Konflikt - vertrieben und verschleppt, verlor seinen Bruder in den Kriegswirren. Ein vom Schicksal Gezeichneter also, für den die Traditionen Rettungsanker in der Entwurzelung sind. Nicht zuletzt wird der Kampf der Kulturen damit auch zum Generationenkonflikt, den Loach feinfühlig und respektvoll gegenüber allen Figuren zeichnet. Zumal die religiösen Fanatiker eher auf Seiten der Katholiken und ihres diabolischen Priesters angesiedelt sind, denn bei den Pakistani.

Dennoch ist „Just a Kiss“ ein Plädoyer für die Grenzen überschreitende und überwindende (und damit nicht immer unbedingt versöhnliche) Kraft der Liebe und auch darin so klassisch wie der Romeo-und-Julia-Topos, den der Film zitiert und variiert. Auf der Berlinale 2004 wurde der Film viel beachtet und gewann den Preis der Gilde Deutscher Filmkunsttheater. Als Drama mit auch manchen augenzwinkernd ironischen Momenten dürfte er ein Publikum finden, das in seinem aufgeklärten Bewusstsein für soziale Konflikte dennoch nicht die Freude am zutiefst romantischen Liebeskonzept verloren hat. (jm)

„Just a Kiss (Ae Fond Kiss)“, GB/B/D/I/SP 2004, Ken Loach, 103 Min. Film des Monats im Traum-Kino (Kiel, Grasweg), 1. bis 30.11.

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