FilmTrain 2004-2006

Liebeserklärung an eine Landschaft und ihre Sprache

„Inselklang - Die Sylter Sprache vergessen wir nicht“ (Anne Goltz, D 2006)

Winde wehen, Wolken ziehen, die Sonne verzaubert das Wasser, durch das sich ein Bahndamm zieht, der Hindenburg-Damm, Landweg nach Sylt, auf dem im Zug reisend Anne Goltz auf ihre Heimatinsel zurückkehrt. Wo alles anders heißt, als man es auf dem Festland kennt, weil die andere Landschaft auch eine andere Sprache hervorgebracht hat: Sölring, die Sylter Mundart des Friesischen. Wie heißt noch gleich „Muschel“ auf Sölring? – Das ist Anne Goltz gerade entfallen, aber der Klang der Sprache weckt in ihr so heimatliche Assoziationen wie die Bilder, die sie ohne Scheu vor Postkartenmotiven ihren Kameramann Oliver Rensch von der Landschaft mitten im Wattenmeer machen lässt.

Dass eine Insel einen Klang haben kann, ist schon ungewöhnlich genug. Doch das Ungewöhnliche war auf Sylt früher mal gewöhnlich, die friesische Sprache. Heute können selbst Alteingesessene diese Sprache kaum noch sprechen, ihrem Klang lauschen, der so etwas Poetisches hat wie die Bilder von der Insel, die – da kann man machen, was man will – eben ganz authentisch so aussehen wie auf der Postkarte. Die wenigen, die Sölring noch aktiv sprechen, hat Goltz aufgesucht um ihnen zu lauschen. Die Natur der Sache bringt es mit sich, dass die wenigen verbliebenen aktiven Sölring-SprecherInnen die Pflege dieser vom Aussterben bedrohten Sprache zu ihrer Passion gemacht haben. Doch zwischen allerlei Lokalkolorit zwischen Biike-Brennen und Kachelofen tun sie das nicht rückwärtsgewandt als „ewig Gestrige“, sondern mit jenem zukunftszugewandten Überlebenswillen, der den Küstenbewohnern des „blanken Hans“ schon die Natur täglich abfordert. Wer in so rauem Klima dem Meer das Land immer wieder abtrotzt, für die oder den ist auch die Sprache eine Warft oder ein Deich gegen das Anbranden eines nur vermeintlich Modernen.

Dass die friesische Sprache um ihr Überleben kämpfen muss, gehört vielleicht zu ihr wie zu den Menschen, die dem Meer seit Jahrhunderten trotzen. Romantik? Ja! Aber gut verstandene Romantik, nicht dieses touristisch vermarktbare Trachtengewese, das in Goltz’ Film angenehm wenig vorkommt. Vielmehr die ganz normalen Menschen, die so normal sind, weil sie an dem Normalen ihrer Muttersprache festhalten. Für uns Festländer mag das exotisch erscheinen, in einer globalisierten Welt hat es aber jenen Impetus, dass globales Denken ohne lokales Handeln (also Sprechen) sinnleer wird – oder nur dem global agierenden Kapital, nicht aber den Menschen nutzt.

Klar, Anne Goltz’ Film ist eine unverblümte Liebeserklärung. Und Liebe ist aus gutem Grund nicht rational, sondern emotional. Da macht es auch Sinn, dass Goltz’ die friesischen Sprecher sprechen lässt, wie ihnen ihr Sölring gewachsen ist, und auf die Einordnung dieser „Minderheitenfrage“ in die Politik der europäischen Regionen verzichtet. Das müsste ein anderer Film erzählen. Dass die Pflege des Sölring auch eine politische Frage ist, wird indes auf wunderbar anrührende Weise im Privaten angedeutet. Und das ist ja so toll am Privaten, am Vereinzelten, dass es die Wurzel aller Politik ist. Und so schauen wir weltversonnen zu und auf diese betörenden Postkartenmotive, wenn untermalt vom „Inselklang“ Winde wehen, Wolken ziehen und die Sonne das Wasser verzaubert ... (jm)

Inselklang - Die Sylter Sprache vergessen wir nicht, D 2006, Digital/Betacam SP, 30 Min. Regie, Skript & Schnitt: Anne Goltz, Kamera, Ton: Oliver Rensch, Musik: Ole Jacobsen. Trailer: http://rzglab15.rz.uni-kiel.de/geotv/filmtrain/inselklang.wmv

zurück zum Inhalt