10. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Animierte Melancholie

„Jimmy” (Martin Rahmlow, D 2002)

Kleine Mädchen mit roten Kappen geraten öfter mal in Schwierigkeiten, das weiß man aus Grimms Märchen. Leider ist der kleine Jimmy kein stolzer Jägersmann, der seine rotbemützte Freundin am Ende raushauen könnte. Mit der Kasserolle auf dem Kopf und dem Holzschwert in der Hand ist er wahrlich ein Ritter von durch und durch trauriger Gestalt. Eine finstere Windmühle weht den Schal des kleinen Mädchens hinaus aufs zugefrorene Meer, und während Jimmy sich eitle Schaugefechte mit einem stupide lächelnden Schneemann liefert, riskiert die Kleine ihr Leben für den eitlen Tand. Der Spiegel, durch den sie gehen wird, ist eine brüchige Eisfläche, vom Schnee bedeckt wie ein Leichentuch. In seiner kindlichen Trauer und Hilflosigkeit fordert Jimmy die Schicksalsmühle zum Kampf heraus, wie sein großes Vorbild aus la Mancha.

„Jimmy” ist ein sechsminütiger Stop-Motion-Animationsfilm, der die Einschränkungen seiner technischen und dramaturgischen Ausdrucksmöglichkeiten geschickt in atmosphärisch dichte Bilder umlenkt. Wenn man beim filmischen Erzählen auf Mimik und Dialoge verzichten muss, bleiben nur die Extreme von slapstickhaftem Klamauk oder stiller Melancholie. Martin Rahmlow, der an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg studierte, hat sich für den zweiten Weg entschieden und im Rahmen einer Studienübung eine tieftraurige Mini-Tragögie geschaffen. Die von ihm selbst gestalteten Figuren strahlen trotz (oder vielleicht auch wegen) ihrer relativ groben Oberflächen und Texturen eine zarte Verletzlichkeit aus, die problemlos jeder Großaufnahme standhält. Die etwas unbeholfene Animation geht schlüssig auf in der kindlichen Tapsigkeit der kleinen, traurigen Helden.

Neben der Don-Quixote-Thematik spürt man in den liebevoll gebauten Sets auch Anklänge an Ottfried Preusslers „Krabat”-Märchen. Da schwingt viel düsterer Expressionismus mit, bis hin zu Mary Shelleys bedauernswertem Monster, das sein Ende ebenfalls in einer Windmühle fand. Schließlich steckt in jedem Animationsfilmer, der seine Figuren zum Leben erweckt, auch immer ein kleiner Dr. Frankenstein. (Lorenz Müller)

Jimmy, D 2002, 6 min, Buch: Martin Rahmlow, Phillip Koblmiller, Schnitt: Dirk Stoppe, Puppendesign, Animation, Regie: Martin Rahmlow. Beim Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide zu sehen am So, 21.5., 18 Uhr im Programm „Kurzfilme 2“.

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