Christliche Fundamentalisten in den USA

„Die letzte Schlacht“ (Claudia Willke, Deutschland 2007)

Dass es Fundamentalismus nicht nur im Islam sondern auch im Christentum gibt, zeigt ein Blick in die USA. Dort gewinnen konservative christliche Kreise schon seit Jahrzehnten immer mehr an Einfluss in Gesellschaft und Politik. Schon ein Ronald Reagan wusste 1980 in der so genannten „Moral Majority“ als damalige Sammelbewegung der religiösen Rechten in den Vereinigten Staaten eine wichtige Stütze bei seiner Wahl zum Präsidenten hinter sich. Konservative Familienwerte, energische Gegnerschaft gegen Homosexualität und Abtreibung sowie Kreationismus (Glaube an die wörtliche Interpretation der Bibel in Bezug auf die Entstehung des Lebens) markieren nur einige wesentliche Kampffelder der Evangelikalen in den USA von heute. Claudia Willke zeigt mit ihrer Dokumentation „Die letzte Schlacht“, welchen gewichtigen gesellschaftspolitischen Einfluss die christlichen Fundamentalisten inzwischen in „God’s own country“ haben. Über Jahrzehnte haben sie sich auf allen Feldern der amerikanischen Gesellschaft klug eingerichtet. Ihr Ziel ist der Aufbau einer christlichen Nation in enger Auslegung der biblischen Grundsätze und Gebote.

In vier Kapiteln zeigt der Film wesentliche Bestandteile ihrer Strategie: Rekrutierung der Basis, Training der neuen Führungselite, Zusammenarbeit mit den Mächtigen und Aufbau eines Kreises von Auserwählten. Einer, der jugendliche Anhänger für die Bewegung sammelt, ist Ron Luce. In seiner Ehrenakademie mit dem verblüffenden Namen „Teen Mania Ministries“ (Missionswerke für jugendlichen Wahnsinn) führt er jedes Jahr 500 Jugendliche an den spirituellen – man könnte auch sagen: ideologischen – Kampf „gegen eine sexualisierte Konsumkultur“ heran. Die gegenwärtige „böse, kranke Kultur“ soll gegen eine „gute“ ersetzt werden. Den Auftrag dazu habe Luce von Gott erhalten. Seine Battlecry Events (Schlachtrufveranstaltungen) tragen die christliche militaristische Botschaft in die Öffentlichkeit. Seine Legitimierung dafür findet er in der Bibel, z.B. im 144. Psalm: „Gelobt sei der Herr, mein Fels, der meine Hände kämpfen lehrt und meine Fäuste, Krieg zu führen“ oder im Epheserbrief: „Zieht an die Waffenrüstung Gottes, seid gute Soldaten Christi.“ Der Lauteste drückt der Kultur seinen Stempel auf, lautet ein Credo von Luce. Und so packt er, um die Jugendlichen zu erreichen, seine Botschaften für ein „gesundes Leben“ in aufwendige Multimedia-Shows (mit Rockmusik, Videoclips, Pyrotechnik und Theater), bedient sich also aus dem gleichen Überwältigungsreservoir wie die von ihm abgelehnte Popkonsum-Kultur.

Die neuen evangelikalen Gemeinden bieten vielen Amerikanern eine soziale und kulturelle Identität. In einer Zeit, in der am Rande vieler amerikanischer Städte immer neue Bebauungszentren aus dem Boden schießen, in denen ihre Bewohner nur schwer außerhalb ihrer eigen vier Wände zwischenmenschliche Kontakte knüpfen und pflegen können und in der die Shopping Mal oft die einzige kulturelle Errungenschaft ist, eröffnen die Kirchen in missionarischem Eifer eine Heimat, bieten Hilfe in allen Lebenslagen. Die Bibel hält für alles und jedermann eine Antwort bereit. Jesus hat einen Plan für alle, ob Kleinunternehmer oder Mountain Biker. Fundamentalismus pur: „Wir preisen Gott in der Art, wie wir mit unserem Geld umgehen, wie wir unseren Haushalt, unseren Vorgarten pflegen, wie wir uns um unsere Autos kümmern“, sagt ein Prediger.

„Focus on the Family“, eine der großen evangelikanen Organisationen, vertritt ein Gesellschaftsmodell, in dem sexuelle Abstinenz bis zur Ehe verlangt wird, weil so Konfliktfelder wie Verhütung, Abtreibung und Homosexualität ausgeklammert werden können. Hier hat die Home-School-Bewegung eine große Gefolgschaft. Durch eine Vielzahl von Prozessen ist diese Bewegung in den USA legalisiert worden. Über zwei Millionen Kinder werden derzeit zu Hause von ihren Eltern unterrichtet. Der Lehrstoff kann ganz nach privaten und religiösen Bedürfnissen ausgerichtet werden. Speziell von „Focus on the Family“ entwickelte Lehrpläne, in denen der Bezug zu Gott zentral ist, geben Anleitung. Die Kinder seien von Gott geschenkt, sagt ein Familienvater. Der Staat solle sich aus der Erziehung heraushalten. Alles andere wird als Beschneidung der elterlichen Rechte empfunden. Ganz kreationistisch wird gelehrt, dass Gott die Welt erschaffen hat. Evolution gilt als säkulare Theorie.

Einrichtungen wie das Patrick Henry College geben diesen zu Hause unterrichteten Jugendlichen die Möglichkeit einer hoch qualifizierten Ausbildung und gehören somit zur Eliteschmiede der Evangelikalen. Folgerichtig führt dieser Weg nicht selten in den politisch administrativen Bereich. Ganz im Sinne, die Politik religiös zu machen, wird die Aufhebung der in der amerikanischen Verfassung verankerten Trennung von Kirche und Staat betrieben. Deshalb sollen wichtige Positionen im Staat besetzt werden. Ein Weg dazu führt über die Infiltration der Armee, wie Claudia Willke am Beispiel der Air Force Akademie zeigt. Etliche Militärs haben sich hier mit freikirchlichen Organisationen außerhalb der Armee eingelassen und ihre Stellung als Lehrkräfte dazu missbraucht, ihre persönlichen religiösen Meinungen in den Unterricht miteinfließen zu lassen.

Der Einfluss der Evangelikalen ist besonders unter George W. Bush nicht geringer geworden. Keiner der republikanischen Kandidaten im aktuellen Vorwahlkampf zur Präsidentschaftswahl konnte es sich leisten, dieses große Wählerreservoir zu ignorieren. Gegen Ende der Dokumentation geht Willke auf „Fellowship Foundation“ unter Doug Coe ein. Diese fast geheime, fundamentalistische Eliteorganisation, die sich selbst „die Familie“ nennt (die Assoziation zur Mafia drängt sich auch der Dokumentation auf), pflegt einen unheilvollen Lobbyismus, der seine verborgenen Fäden mit wirtschaftlichen und politischen Führern knüpft. Obwohl Doug Coe einer größeren Öffentlichkeit kaum bekannt ist, gilt er als eine der einflussreichsten politischen Persönlichkeiten Washingtons. Ziel der Foundation ist es, 200 Weltführer einzusetzen, die von Gott geführt einem Netzwerk von Gebetszellen angehören und dort ihre geheimen politischen Pläne für die Weltpolitik entwickeln sollen. (Helmut Schulzeck)

„Die letzte Schlacht“, Deutschland 2007, 52 Min., Buch und Regie: Claudia Willke, Kamera: Bernd Meimers, Rainer Schmidt, Schnitt: Margot Neubert-Maric. Gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. Der Film hatte hat seine Erstausstrahlung auf ARTE am Samstag, 24. Mai 2008.

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