Glotzke – der garstige Medienkommentar:

Eier mit Hühnern verwechselt

„Ich nehme diesen Preis nicht an, und ich finde es auch schlimm, dass ich hier viele Stunden das erleben musste!“ – Marcel Reich-Ranicki sorgte bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises am 11. Oktober für einen Eklat, indem er den Preis für sein fernseherisches Lebenswerk ablehnte. Die TV-Nation war belustigt bis verstört, was man schon allein deswegen hätte sein können, dass MRR’s TV-Format „Das literarische Quartett“, für das er geehrt werden sollte, schon seit knapp sieben verflixten Jahren abgesetzt ist – mangels Quote.

„Ich nehme diesen Preis nicht an!“ – Marcel Reich-Ranicki bei der Fernsehpreis-Verleihung (Foto: Still aus der ZDF-Sendung)

Allein, man hört auf, wenn ein (ganz bewusst nicht selbst sondern nur von anderen zu solchem ernannter) „Literaturpapst“ und damit (ebenso freiwillig unfreiwilliger) Hüter des Bildungsbürgertümelns mal wieder in das rostige Horn des Kulturpessimismus in Sachen Fernsehen stößt. Zumal, wenn TV-Preisverleihungs-Moderator Thomas Gottschalk, ein, was die Bildung betrifft, immer wieder sich als Weichei präsentierendes Gewächs, das eben jener „Blödsinn“, den MRR kritisierte, an der vordersten Front der Mattscheibe hat wuchern lassen, Chuzpe beweist und den widerwillig Geehrten zum halbstündigen TV-Talk schon am auf den Eklat folgenden Freitag ins „aspekte extra“ (ZDF) einlädt.

„Aus gegebenem Anlass“ heißt der 30-minütige Schlagabtausch trocken, der so wenig auf den Punkt kommt, wie MRR’s neuerliche Kritik am „Fernsehen, das doof macht“, uralt ist. Und weil der Anlass auch hier mehr als gegeben scheint, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine zudem in Rundfunkstaatsverträgen nach wie vor festgeschriebene aufklärerische und bildende Funktion längst auf dem Altar der Quote geopfert hat, führt auch dieses „Friedensangebot“ des Laureaten an den Laureatus ins Leere.

Denn der Streit zwischen dem alternden und umso starrsinnigeren Bewahrer bildungsbürgerlicher Tugenden und dem Sunny Boy des ZDF, der sein Bemühen um das Medium nur mühsam mit einem seinem Intendanten nachgebeteten „Hier senden wir, wir können nicht anders“ bemäntelt, scheitert, weil er weder das Huhn, noch das Ei nennt. Geschweige die Frage beantwortet, wer zuerst da war. Ist das Fernsehen doof, weil es sich einem doofen Publikum anpasst, oder ist das Publikum doof, weil es vom Fernsehen doof gemacht wird? Wer ist das Huhn, wer das Ei?

Wer ist das Huhn, wer das Ei? Marcel Reich-Ranicki (l.) und Thomas Gottschalk im TV-Talk „aus gegebenem Anlass“ (Foto: Still aus der ZDF-Sendung)

Argumentative Munition, die MRR eigentlich hätte im Lauf haben müssen, aber er rohrkrepierte vor Gottschalk mit einem pauschalen „Das ist alles Blödsinn!“. So hat Gottschalk leider Recht, wenn er „aus gegebenem Anlass“ vermeldet, dass „anspruchsvolle“ Sendungen eben deshalb in nächtlichen Programmnischen auf Nischensendern wie den Dritten, ARTE oder 3Sat laufen, weil man nur dort Null-Komma-und-paar-Zerhackte-Quoten tolerieren könne. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht als Wächter, sondern nur noch als Nachtwächter der Volksbildung – und der letzte macht das Licht, genauer: den Fernseher aus ...

Ja, so ist es – leider. Und dagegen hilft auch kein grantelnder MRR, der einen Preis ablehnt, den er nur annehmen könnte, wenn die Verhältnisse nicht so wären, wie sie sind. Einen Preis, der nur verschleiert, wie wenig Fernsehen heute mit Bewahrung und Pflege der Kultur zu tun hat. Doch muss das so sein? – Und diese Frage gilt für alle Kunst, für alles Kulturelle, das sich auch Filmförderungen mit einer berechtigten Starrsinnigkeit auf die Fahnen schreiben. Muss man sich der Quote so fatalistisch fügen wie ein Medienmaniak und -clown namens Gottschalk?

Bleiben wir mal im Bild mit dem Huhn und dem Ei. Nehmen wir ferner mal an, dass die Hühner dumm sind. Müsste das Fernsehen dann nicht umso schlauere Eier legen? Nicht als Eier legende Wollmilchsau, wohl aber gemäß seinem aufklärerischen Auftrag, der wie Schiller in seiner „Ästhetischen Erziehung des Menschen“ annimmt, dass die Kunst den Horizont erweitern kann und dass niemand von Natur aus ein Kleingeist ist, ein Publikum mittels TV-Kunst in die Lage versetzt, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Ist es nicht die größte Gunst gegenüber dem Publikum, es nicht als doof anzusehen, nicht als dummes Huhn, und ihm daher auch die etwas schwerer zu bebrütenden Eier zur Prime-Time ins Kuckucksnest zu legen, auf dass daraus ein neues, aufgeklärteres, weniger dümmliches TV-Verhalten schlüpfe?

Bekanntlich wächst jeder mit seinen Aufgaben. Dass das auch ein Publikum tun könnte, negiert ein Fernsehen, das statt zu fordern nur den selbstverursachten Blödsinn fördern will. Und so wünscht man den Hühnern und nach Quotennähe krähenden Hähnen in den TV-Redaktionen: Schaut mal auf die Eier, die ein Publikum unter den brütenden Federn hat, das vielleicht doch mehr will als bloß reichlich leicht verdauliches Futter im Hühnerhof! Und hört auf Marcel Reich-Ranicki, auch wenn seine kritische Stimme eine eitel hahnenkrähende ist. (Glotzke – ist hier jm)

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