11. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Lieber mit der Lüge leben

„Schweigen ist Silber“ (Florian Aigner, D 2006/2007)

Zu Beginn sehen wir den Sohn, Dieter, der vom Sterben seiner Mutter erzählt. Sie hatte Krebs. Er als Zahnarzt durfte ihr Morphiumspritzen geben, um ihre heftigen Schmerzen zu lindern. Dieter erzählt von diesem Abschied, der schon einige Jahre zurückliegt. Doch schon die eingeschnittenen Erinnerungen seiner Frau und seiner Tochter deuten an, worum es eigentlich geht. Die sterbende Renate Frey wollte ein Geheimnis mit ins Grab nehmen. Sie hatte als deutsche Soldatin 1944 im besetzten Frankreich ein Kind zur Welt gebracht, dessen Vater ein Franzose war. Und es erschien ihr im und selbst nach dem Kriege unmöglich, zu diesem Kind, einem Jungen, zu stehen. Verstohlen gab sie es weg in ein deutsches Kinderheim, aus dem es schließlich der französische Vater zu sich nach Frankreich holte.

Nach dem Tod von Renate Frey findet die Familie des jüngeren deutschen Sohnes Dieter in ihrer Hinterlassenschaft die „verschwiegene“ und versteckte Korrespondenz mit Renates ehemaligem französischen Freund. Und ein Abenteuer der ganz besonderen Art beginnt. Dieter macht sich daran, seinen Halbbruder in Frankreich aufzuspüren und hat Erfolg damit. Es kommt zu einem Treffen der beiden Brüder, und daraus scheint sich trotz ihrer offensichtlichen Wesensunterschiede eine gute Geschwisterbeziehung zu entwickeln. Dieter, ein Einzelkind kann jetzt eine ungeahnte Lücke füllen, und auch sein Bruder, der berührend seine französische Jugend schildert, in der etliches im Argen war, findet mit Freude sein brüderliches Gegenstück.

Doch das ist nicht das Hauptthema der Dokumentation „Schweigen ist Silber“, die Regisseur Florian Aigner mit Gespür für Timing und Sensibilität in seiner Gesprächsführung mit den Protagonisten vorzüglich zu einem Ganzen geformt hat. Es geht vielmehr darum, wie und warum sich eine Frau gezwungen glaubt, die Existenz eines außerehelichen, mit einem Franzosen im Krieg gezeugten Kindes unbedingt aus ihrem Leben verbannen zu müssen. Dieser Verdrängungsmechanismus, der Jahre später sogar eine Kontaktaufnahme des nun erwachsenen französischen Sohns mit seiner Mutter verhindert, wird von Aigner sorgfältig aufgearbeitet. Es entsteht somit am Beispiel dieser Frau das Sozio-Pychogramm einer Nachkriegsgesellschaft, die lieber bereit zu sein scheint, mit der Lüge zu leben, als die vorgeblich „schändliche“ Wahrheit zu akzeptieren.

Die Soldatin Renate Frey während des 2. Weltkriegs in Frankreich

Am erhellendsten sind dabei die Gespräche, die der Regisseur mit der noch lebenden Schwester von Renate führt. Fast gleichaltrig kann sich diese von Renate damals Eingeweihte in das Verhalten der Schwester trotz einiger Differenzen einfühlen, glaubt zu verstehen, warum die Schwester meinte, nicht anders handeln zu können. Sie sieht den Schlüssel dafür in dem drohenden Unverständnis von Eltern und Umgebung. Ein uneheliches Kind und dann noch von einem Kriegsgegner, einem Franzosen –  das schien dann doch zuviel der Zumutung für die (spießige) Moral dieser mittelständischen Kreise. Und dennoch muss die Schwester zum Ende verblüfft erkennen, dass das so gar nicht gestimmt hat. Das Festhalten am bigotten Schein einer trügerischen „Anständigkeit“ und darüber hinaus ein letztlich unerklärliches Moment bewegten Renate, ihren Sohn wegzugeben. Aber: verschwiegen wurde etwas, was damals bis auf die Schwester sowieso alle wussten.

Florian Aigner ist mit seinem Film trotz der talking-head-Bilder ein spannendes Dokument deutscher Nachkriegsgeschichte gelungen, das wunderbar einfühlend und geradezu zärtlich die Irrungen und Wirrungen der Kriegsgeneration beschreibt und gleichzeitig zeigt, wie die Nachkommen ihre persönliche Geschichte „heilen“ können. (Helmut Schulzeck)

„Schweigen ist Silber“, D 2006/2007, 80 Min., DigiBeta, Buch, Regie und Schnitt: Florian Aigner, Kamera: Henning Brümmer. Der Film läuft im Eröffnungsprogramm des Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide am Freitag, dem 11. Mai 2007, um 20 Uhr.

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