11. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Ein Stück ländliche Zeitgeschichte

„Ein Schäfer auf Wanderschaft. John Kimmel mit 1000 Tieren unterwegs“ (Kay Gerdes, Jess Hansen, D 2007)

Der Kieler Dokumentarfilmer Kay Gerdes (hauptberuflich Cutter beim NDR) als Chronist von traditionellen Berufen, die Althergebrachtes pflegen und in starker Abhängigkeit zu den Jahreszeiten stehen? Er scheint sich ein wenig dahin zu entwickeln. Zusammen mit seinem Kompagnon Jess Hansen, mit dem er schon 2005/2006 ein Porträt der Holmer Schleifischer realisierte („Mal König, mal Bettelmann“), zeigte er nun auf dem Symposium „Heimatfilm“ zum Filmfest „Augenweide“ seinen neuen Film „Ein Schäfer auf Wanderschaft“, der das ungewöhnliche Berufsleben eines Wanderschäfers verfolgt. Am Rande des Festivals gestand dann Gerdes auch, dass er zumindest noch einen dritten Film hinzufügen möchte, um quasi eine Trilogie komplett zu machen, und er dafür noch auf der Suche nach einem geeigneten Thema sei.

In „Ein Schäfer auf Wanderschaft“ begleiten Kay Gerdes und Jess Hansen den Schäfer John Kimmel über ein Jahr mit seiner rund 1000-köpfigen Herde durch Schleswig-Holstein. Beschaulich wirkt Kimmels Leben wohl nur aus der Distanz. Natürlich ist eine ziehende oder weidende Schafsherde in holsteinischer Landschaft immer für schöne (Film-) Bilder gut. Dass es aber eher eine anstrengende Arbeit ist, eine solch große Herde zusammen zu halten, wird im Film schon sehr bald deutlich. Keine Spur Langeweile, statt dessen gibt es immer was zu tun. Ohne gut trainierte Schäferhunde wäre dieser Job gar nicht zu leisten. Und so zeigen Gerdes und Hansen dann nicht nur ausführlich deren ermüdende, stressige Tätigkeit, sondern lassen Schäfer Kimmel auch von Ausbildung und Training dieser Hunde erzählen und wichtige Regeln, die diese beim Hüten zu befolgen haben, erläutern. Kimmel bezeichnet seine Hunde als „Werkzeuge“. Mindestens drei Hunde sind immer (außer nachts wenn die Tiere eingefriedet durch einen Elektrozaun zusammengehalten werden) auf Posten und halten die Herde zusammen. Daneben hat der Schäfer noch mehrere Austauschhunde, für den Fall, dass die Kondition ihrer Kollegen nachlassen sollte. Und so zieht Kimmel mit seiner Herde besonders im Sommer zu verschiedenen Mooren in unserer Landesmitte.

Im Dosenmoor bei Neumünster, das die Herde mehrmals im Jahr beweidet, erläutert Kimmel, dass es bei seiner Arbeit darum geht, den Bewuchs von Baumsämlingen, Gras und Sträuchern kurz zu halten, um die moortypische Vegetation zu pflegen und zu erhalten. Aus gleichem Grunde ist er mit seiner Herde auch auf anderen Moor- und Heideflächen im Lande unterwegs, in enger Abstimmung mit den Botanikern der Landesnaturschutzbehörde, die sein Auftraggeber ist.

Der Film gliedert sich, klassisch durch schwarze Texttafeln getrennt, in mehrere Kapitel, die verschiedene Begrasungsgebiete sowie den Zug dahin (bisweilen auch den Transport per Lastwagen) und auch den heimatlichen Schafshof (inklusive Lämmergeburt im Winter) – chronologisch den Jahreszeiten folgend – mit der Herde zeigen. Schon nach kurzer Zeit wird dem Betrachter klar, dass der Film in seiner Betrachtungsweise Formen des traditionellen Kamerafilms, der nur aus seinen Bildern heraus zu erzählen versucht, mischt mit denen von eher reportagehaftiger Dokumentation, die die Akteure befragt und Gespräche zwischen ihnen beobachtet. Über weite Strecken gelingt das sehr gut, aber manchmal entstehen doch einige Lücken. Z. B. dann, wenn Schäfer Kümmel von den möglichen Gefahren beim Durchtreiben der Herde durch größere Ortschaften erzählt, dass ein Schafsbock beim Erblicken seiner selbst im Schaufenster zum Angriff auf sein Spiegelbild übergehen könnte. Und dann sieht man die Herde durch einen solchen Ort ziehen (Jevenstedt bei Rendsburg): das Heer der Schafe auf hartem Asphalt begrenzt durch Vorgartenzäune, vorbei an parkenden Autos und gebändigt durch die schon bekannten Hunde – aber von Schaufenstern keine Spur. Ein ungewöhnliches und fast spektakuläres Bild, doch die vorher aufgebaute Spannung, wie sich die Herde bei solchen vorausgesagten „Begegnungen“ mit Geschäftsfenstern verhalten würde, läuft ins Leere.

Ob in trockener Julihitze oder in nebeliger, nasser Novemberkälte, beständig zieht Schäfer Kimmel mit seiner Herde über die Fluren. Einfühlsam, beharrlich und mit ruhiger Handkamera sind ihm Kay Gerdes und Jess Hansen gefolgt. Entstanden ist ein Stück ländlicher Zeitgeschichte. In ihm wird erzählt von einem Beruf, der mit seinen althergebrachten Fertig- und Möglichkeiten durch keine noch so moderne Technologie ersetzbar scheint. Wir sehen in Schäfer Kimmel einen Mann, der aus seiner naturverbundenen Tätigkeit eine ungebrochene Identität schöpft und damit gegen alle denkbaren modernistischen Anfechtungen gewappnet zu sein scheint. (Helmut Schulzeck)

„Ein Schäfer auf Wanderschaft. John Kimmel mit 1000 Tieren unterwegs“, Deutschland 2007, 56:30 Min., DV-Video, Regie und Buch: Kay Gerdes und Jess Hansen, Kamera und Schnitt: Kay Gerdes, Ton: Jess Hansen

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