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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

55. Internationale Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2005

Einem Opus magnum auf der Spur

„Final Cut: The Making and Unmaking of Heavens Gate“ (Michael Epstein, USA 2004)

Michael Cimonos epischer Anti-Western „Heavens Gate“ steht im Ruf, mit seinem Flop an den Kinokassen 1980 das Hollywood Studio United Artist ins finanzielle Aus manövriert und das Ende der New Hollywood Ära eingeläutet zu haben. Die US-Filmkritiker zerrissen den Film schon vor seinem Start als Regisseur-Gigantomanie und nach der Premiere in New York als „schlechtesten Film aller Zeiten“. Selbst profilierte Kritiker wie Pauline Kael stimmten in den Kanon ein und haben ihr Urteil nie revidiert.
Michael Epsteins Dokumentation „Final Cut: The Making and Unmaking of Heavens Gate“ geht allerdings nicht der Frage nach, ob die Kritiken, die sich mit dem Film analytisch auseinandergesetzt haben, gerechtfertigt waren. Er enthält sich eines Urteils und geht der Produktionshistorie nach. Akkurat schildert er, wie die Egomanie eines Regisseurs das Budget binnen kürzester Zeit über die ursprünglich veranschlagten 12 Millionen Dollar schnellen ließ (am Ende waren es knapp 50 Millionen) und den Zeitplan um Monate überzog. Wenn die Lichtstimmung am Himmel nicht den Vorstellungen Ciminos entsprach, wurde auch schon mal einen halben Tag gewartet. Epstein befragte die Studio Executives, darunter Steven Bach, den Autor der Buchvorlage „Final Cut“ und schildert anhand von filmhistorischen Beispielen einleuchtend und unterhaltsam, warum United Artist nicht „den Stecker gezogen“ hat, sondern das Projekt weiter durchgezogen hat. Abgesehen davon, dass das Studio ja den Film auch tatsächlich haben wollte, fühlten sie sich der Tradition von United Artists, ein von Künstlern für Künstlern gegründetes Studio zu sein, verpflichtet. Die Alternative, einen externen „Einpeitscher“ ins Boot zu holen, scheiterte: nach kürzester Zeit hatte der Berufene die Zwecklosigkeit, das Projekt wieder auf die (finanziell) richtige Spur zu bringen, als aussichtslos erkannt und abgelehnt.
Die erste Fassung, die die Studiobosse Monate später zu sehen bekommen sollten, war fünfeinhalb Stunden lang. Steven Bach vermutete vorwurfsfrei, dass Cimino im Schnittraum jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen war. Die Premierenfassung lief dann etwas über dreieinhalb Stunden und bekam die schon erwähnten vernichtenden Kritiken. Cimino kündigte ohne Rücksprache mit dem Studio in einer ganzseitigen Anzeigen im Branchenblatt „Variety“ eine Kürzung des Films an. Das finanzielle Fiasko war aber nicht mehr aufzuhalten, denn am Box Office versagte auch der um eine weitere Stunde gekürzte Film und spielte lediglich 1,5 Millionen ein.
Filmhistorische Offenbarungen: Moderator Siegel im Gespräch mit Michael Epstein, Steven Bach und John Kirk (v.l.n.r.) (Foto: Berlinale)
Kris Kristofferson, Jeff Bridges und Brad Dourif äußern sich respektvoll über Cimino und seine Arbeit, auch wenn sie den ein oder anderen Take über 50 mal spielen mussten. Sie haben wohl schon damals erkannt, dass hier eine talentierter Regisseur sein Opus Magnum kreieren wollte, koste es das Studio, was es wolle. Kristofferson hätte allen Grund, wütend auf Cimino oder den Film zu sein, denn die Verrisse kosteten ihn seinen Status als einer der Top Five Leading Men in Hollywood. Falls sich heute keiner mehr daran erinnert, dass Kristofferson mal dort angekommen war, dann kennt er jetzt den Grund. Aber selbst Ciminos Hauptdarsteller bereut nicht, an dem Projekt beteiligt gewesen zu sein.
Eingedenk der Menge an verschossenem Filmmaterial machte sich Epstein für sein Dokumentarfilmprojekt zunächst keine Gedanken über einen Mangel an Bildmaterial. Schnell musste er aber feststellen, dass praktisch alle Outtakes aus finanziellen Gründen (die Lagerung war zu teuer) vernichtet wurden. Eine Begegnung mit Cimino selbst, der allerdings keine Interviews geben wollte, rettete ihn. Cimino übergab ihm zwei Kartons mit Fotos, aus denen Epstein schöpfte. Technisch bemerkenswert geschickt hat er das Fotomaterial genutzt. Bei vielen Stills hat er den Vordergrund, meist eine Person, vom Hintergrund getrennt und beide Ebenen in leichte Bewegung zueinander gesetzt. Ein einfaches, aber wirkungsvolles Verfahren.
Epstein ist eine scharfe, vorurteilsfreie Fallstudie eines „worst case scenarios“ einer Hollywood-Produktion gelungen. Hier wird keine schmutzige Wäsche gewaschen und keine „posthume“ Heiligsprechung betrieben, sondern die Zusammenhänge von menschlichen und wirtschaftlichen Faktoren in der vielleicht größten Unterhaltungsindustrie der Welt offen gelegt.
In der Kombination mit der restaurierten Fassung von „Heavens Gate“ war die Vorstellung einer der Highlights der Berlinale, insbesondere, weil die anschließende Diskussion mit Regisseur Michael Epstein, United Artist Executive Steven Bach und Restaurator John Kirk noch mal Erstaunliches zu Tage förderte. Bach bereut zwar seinen Job im von ihm heißgeliebten Filmbusiness verloren zu haben (er ist heute Lehrer), doch er hegt keinen Groll gegen Cimono. Letztendlich war United Artist nur ein Spielball in einer höheren Liga: Die Versicherungsfirma, der United Artists gehörte, ließ nach dem Fiasko am Box Office und in der Presse das Studio und seine Executives fallen, aus Angst, ihre Aktienkurse würden sinken. Bach berichtet, dass die Versicherungsmanager indes erstaunt feststellen mussten, dass der Erfolg oder Misserfolg einzelner Filme keine Auswirkung auf Aktienkurse hat.
Die von John Kirk in hingebungsvoller Arbeit restaurierte Fassung von „Heavens Gate“ entspricht wohl am ehesten der Premierenfassung und kann so als Director’s Cut bezeichnet werden, auch wenn Cimino keinen Einfluss genommen hat. Die neue Lichtbestimmung des Masters geschah mit Hilfe des Kameramanns Vilmos Zsigmond. So konnten auch einige Sequenzen, die in allen existierenden Fassungen farbverfälscht geprintet wurden, korrigiert werden. Der Film wird in dieser Form zunächst auf Festivals laufen. MGM, die die Rechte an vielen UA-Filmen besitzen, zeigten aber Interesse, die 225 minütige Fassung erneut zu veröffentlichen (die jetzige DVD Edition hat 209 Minuten). John Kirk bat daher darum, sich dafür auf der MGM homepage www.mgm.com entsprechend zu verwenden. Am besten „Final Cut“ als Bonusmaterial anfordern. (dakro)
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