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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

JazzBaltica 2006

Red and Hot and Brad and Pat

Der kontemplative Festival-Freitag bei JazzBaltica

Das Geburtstagskind hält sich zurück und folgt seinem Motto „red and hot“ mit dezentem Gebläse, denn Nils Landgren, „Mr. Jazz Baltica“, feiert zwar in Salzau seinen 50. Geburtstag nach, aber das „Celebrating Nils“ des JazzBaltica Ensembles ist nicht zuletzt auch ein „Celebrating Wolfgang“. Schlagzeuger Wolfgang Haffner brillierte schon im Vorjahr, jetzt hat er der „Workshop-Band“ ein paar Preziosen auf den Leib geschrieben, die auch schon sein Album „Shape“ zierten. Das „red“ ist dabei meist eher purpur und das „hot“ ganz bewusst wohltemperiert, wenn Haffner seine Stücke von der Pike auf aufbauen lässt, vom atmosphärischen Intro mit Pianoperlen (Marcin Wasilewski), statisch in sich ruhend, bis zur Entfaltung des strahlenden Bigband-Sounds, obwohl diese Band gar nicht so „big“ ist.
Dafür feinfühlig bis in die lyrischen Spitzen, immer mit einem besonderen Blick auf das Melodische, mit allerlei Synthie-Effekten (Sebastian Studnitzky) manchmal auch mit deutlichem Streben in den Lounge-Sessel. Wo es keine Ecken und Kanten gibt, braucht man sich auch nicht daran zu stoßen. Man bedenke: hier schreibt ein Schlagwerker. Aber eben auch einer, der Rhythmus nicht nur aus der Schießbude kennt, sondern auch mit Wattebäuschen ins Schwarze trifft. Einzig „24 Hours“ betritt die Uptempo-Spielwiese, wird energisch, gibt Landgren Gelegenheit „hot“ und funky zu werden, wie wir sein Horn lieben. Dass Haffner hier zuerst den Groove im Kopf hatte und „24 Stunden nach der dazu passenden Melodie suchte“, daher der Titel, hört man. Bei den übrigen Stücken scheint es umgekehrt gewesen zu sein, erst die weit atmende Melodie, dann der Groove. Hier aber wird in die Vollen gegangen und fast wirkt das wie eine Befreiung, dass das Ensemble erstmals richtig loslegen darf, dass die Bläser (neben Landgren (tb) Axel Schlosser (tp), Karl-Martin Almquist (ts) und Jukka Perko (as)) ihre Breitseiten mit echter Fusion-Funk-Munition abfeuern, dass Biboul Darouiche dem auf den Congas einen leidenschaftlich afrikanischen Touch gibt.
In den letzten beiden Stücken allerdings dann wieder das Kontrastprogramm blütenreicher Grübeleien mit Cello (Lars Danielsson) und Landgrens verführerischen Sirenengesängen. Mag sein, dass hier etwas zu viel Weichspüler in Spiel ist, dennoch ein kontemplatives Konzerterlebnis.
Kontemplation spielt auch bei „artist in residence“ Brad Mehldau und seinen Trio-Kollegen Larry Grenadier (b) und Jeff Ballard (dr) eine große Rolle. Mehldau beginnt fantasiehaft improvisierend, dass man fast an Alte Musik denkt, bringt aber diesen barocken Gestus sogleich ins Swingen und zuweilen auch ins Boppen. Bluenotes scheinen für Mehldaus harmonische Ergründungen weniger prägend als die Harmonik der klassischen Moderne, ja, impressionistische Momente lassen sich ausmachen. Für den Jazz ist das zumindest ungewöhnlich, auch gewöhnungsbedürftig, in jedem Fall aber so interessant, dass man gespannt auf der Stuhlkante sitzt. Mehldaus Fusion aus den musikalisch klassischen Wurzeln des Jazz – an der ein oder anderen Stelle darf man sogar an Bachs Präludienkunst denken – und dem, wie der Jazz aus diesen Wurzeln neue Blüten trieb, wirkt einerseits traditionsverliebt, andererseits wohnt ihr der ständige Impetus der Modernisierung inne. Entspannung und drängende Freude an den übersprudelnden Einfällen seiner Improvisationskunst gehen da als ungleiches Paar dennoch einträchtig Hand in Hand. Ein Erlebnis!
Kontemplation Teil drei liefert JazzBaltica-Dauergast Pat Metheney samt Scott Colley am Bass und Antonio Sanchez auf den Drums. Auch Metheney ist als Melodie-Grübler bekannt, als Freund der schönen Tunes, Klangexperimentelles inklusive. Fernöstlich und mit viel Hall beginnt er, umrundet dann die halbe Welt Richtung Südamerika mit Latin-Anklängen und landet schließlich ein paar Breitengrade nördlicher im Folk der Prärien. Eine Weltreise, die der Gitarren-Papst so leicht nimmt, dass sich seine Flügel dabei auf die Zuhörer übertragen. Und für „red and hot“ und Brad ist Pat so die perfekte Ergänzung. (gls)
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