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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

Das grüne Gras auf der anderen Seite des Ozeans

Die Filmemacherin und Medienkünstlerin Janne Höltermann, die 2005 den Muthesius-Preis der Nord-West-Lotto GmbH gewonnen hatte, investierte ihren Gewinn unter anderem in ein Postgraduierten-Studium am Massachusetts College of Art in Boston. Für infomedia-sh.de hat sie einen Erfahrungsbericht geschrieben über das Studienleben an einer amerikanischen Kunsthochschule.
Nach einem Kunst- bzw. Kunsterzieherstudium in Kiel kann einen schon mal das Gefühl beschleichen, dass man etwas verpasst haben könnte. Man stellt sich vor, wie es gewesen wäre, in anderen Städten oder Ländern zu studieren, andere Hochschulen zu besuchen und andere Leute kennen zu lernen. Vielleicht wäre es besser gewesen, vielleicht auch nicht? Wer weiß das schon.
Mich verschlug es somit im Herbst 2006 von Norddeutschland auf die andere Seite des Atlantiks – nämlich nach Boston. Dort wollte ich zwei Jahre am Massachusetts College of Art studieren, um dem MFA zu machen. Die Entscheidung, einen Master an der „MassArt“ zu machen, begründete sich vor allem durch die Lage der Stadt und das Angebot der Hochschule. Der Video- und Medienbereich der Hochschule schien gut ausgebaut, außerdem liegt die Stadt schön nah am Wasser und nicht fern von der Großstadtmetropole New York.


Blick auf Boston vom Hochhaus des Massachusetts College auf Art
Gleich auf der Taxifahrt vom Flughafen sollte sich mir das charakteristischste Merkmal der Stadt offenbaren. Ich geriet in einen Verkehrsstau, der nicht, wie man im Allgemeinen vermuten würde, von dicken amerikanischen Autos verursacht wurde, sondern von großen Plastikcontainern auf Rollen, mit denen die blutjungen Bachelor-Studenten ihre Einzüge in die Studentenheime tätigten. Boston ist sehr akademisch geprägt, was darauf zurück zu führen ist, dass es in den USA die Stadt mit der höchste Konzentration an Universitäten pro Einwohner ist.
Wenn man von der übersichtlichen „Mu-Schule“ kommt, ist man zunächst beeindruckt durch den riesigen Komplex der MassArt. Die Hochschule unterhält ein eigenes Health Center, Student Development Center, Career Services, hat eine eigene Campus-Polizei, Public Safety, und noch viele Einrichtungen mehr, die man nicht unmittelbar zum Kunststudium benötigt. Es kann sehr schnell passieren, dass man beginnt, in der Hochschule zu leben und die Welt außerhalb der „Uniblase“ vergisst.
An der MassArt nehmen zu Beginn des akademischen Jahres ca. 350 Bachelor und um die 25 Masterstudenten das Studium auf. Die erlesene Gruppe der Masterstudenten verteilt sich dann noch auf die unterschiedlichen Studienschwerpunkte Foto, Malerei, Film/Video, SIM (Studio for Interrelated Media) und Bildhauerei.
Das Studium in einem so kleinen Kreis bedeutet natürlich intensivste Betreuung, die für den deutschen Studenten manchmal nur schwer zu ertragen ist. Dazu kommt, dass Dozenten und Professoren die Struktur mit zahlreichen Deadlines, Zielsetzungen, und Präsentationen zusätzlich straffen. Am Ende eines Arbeitsgesprächs oder „crit“ wird stets gefragt, was denn die Zielsetzung bis zum nächsten Gespräch sei. Der Höhepunkt des Semesters sind die Final Reviews, eine Präsentation am Ende des Semesters, zu der fertige Arbeiten möglichst perfekt inszeniert vorgestellt werden sollen. Für die Review bekommt jeder Student eine Stunde die Aufmerksamkeit aller Professoren eines Studienschwerpunktes und die Arbeiten werden ausgiebig diskutiert und kritisiert. Zusätzlich findet mitten im Semester der „Walkthrough“ statt, der eher als „Runthrough“ zu bezeichnen ist. Es handelt sich dabei um einen Rundgang durch die einzelnen Studios aller Graduate Students, an dem Professoren und Studenten unterschiedlicher Studienbereiche teilnehmen. Jeder Student bekommt dann 15 Minuten Zeit, um einen Eindruck der künstlerischen Arbeit zu vermitteln.
Es ist ja wahrhaftig kein Geheimnis, dass sich das Studium an amerikanischen Universitäten etwas intensiver als in Deutschland gestaltet. Dass dies aber auch auf Kunsthochschulen zutrifft, hatte ich nicht für möglich gehalten. Bis in die frühen Abendstunden ist man mit dem Besuch von Kursen, dem Assistieren in den Seminaren der Bachelor-Studenten und mit Meetings beschäftigt. Zeit für die eigene künstlerische Arbeit bleibt am Abend oder an den Wochenenden. Das ist zunächst sehr frustrierend nach der jahrelangen Entspanntheit an einer deutschen Hochschule, entspricht aber gleichzeitig der Realität: Irgendwie muss man sich die Zeit für die eigene Arbeit wohl immer nehmen.
Als Gegenleistung lernt man aber in sehr kurzer Zeit unglaublich viel und vor allem als Masterstudent genießt man zahlreiche Privilegien: Ein großer Studioplatz und die uneingeschränkte Nutzung des Blue- und Green-, Ton- und Lichtstudios sowie die Versorgung mit jeglichen technischen „toys“, die das Herz eines Film- und Videoschaffenden höher schlagen lassen, sind garantiert.
Ein Vorteil, an einer verhältnismäßig großen Universität zu studieren, ist die Tatsache, dass man für alles einen Fachmann findet. So gibt es zum Beispiel Spezialisten für Bereiche wie das Programmieren von interaktiven Arbeiten, elektrotechnische Projekte, Performance etc. Außerdem hat die MassArt ein Abkommen mit anderen Universitäten vor Ort, so dass interdisziplinäre Seminare besucht werden können. Am attraktivsten sind die Angebote des weltberühmten MIT (Massachusetts Institute of Technology), das seit einigen Jahren auch ein Programm für freie Künstler anbietet.
Die Semester an der MassArt sind intensiv und man wundert sich, was man in kurzer Zeit alles auf die Beine stellen kann. Mit Ende des akademischen Jahres Mitte Mai hört der amerikanische Student dann aber von einen Tag auf den anderen auf zu arbeiten und die Kunsthochschule verwandelt sich in ein Geisterhaus.
Das Fazit nach dem ersten Jahr Studium in Boston: Ja, das Gras auf der anderen Seite des Ozeans ist tatsächlich grüner. Auf der anderen Seite ist immer alles spannender, neuer, erlebnisreicher, man trifft interessante Leute und schließt neue Freundschaften. Gleichzeitig stellt man aber fest, dass auch das Gras im guten alten Europa wieder ein Stück grüner aussieht ... (Janne Höltermann)
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