Der Newsletter zum Thema Medien in Schleswig-Holstein
herausgegeben von
Filmkultur Schleswig-Holstein e.V.



Impressum
Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

Interdisziplinäres Symposion der Muthesius Kunsthochschule: Fundstücke im medialen Prozess

Vom „objet trouvé“ über „found footage“ bis zum „mashup“ – damit beschäftigt sich das interdisziplinäre Symposion der Muthesius Kunsthochschule vom 18. bis 20. Januar 2008 mit diversen Vortragsveranstaltungen in der Kunsthalle zu Kiel. Konzipiert wurde das Symposion von Prof. Dr. Petra Maria Meyer, Center for Interdisciplinary Studies, in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Medien der Muthesius Kunsthochschule in Kiel.

Programm

Freitag, 18.1.08

13:00: Fundstücke im medialen Prozess – Begrüßung und Einführung
Eine der grundlegenden Strategien in Kunst und Design besteht darin, auf Vorfindbares zurückzugreifen, es zu de- und rekontextualisieren, konzeptuell zu ergänzen oder zu verringern und derart Funktionsweisen und Inhalte zu wenden. Solche Praktiken der Verschiebung, Versetzung und Verwandlung erfolgen disziplinenübergreifend und unter sich wandelnden medientechnischen Voraussetzungen. Eine kreative Arbeit an Fundstücken reicht entsprechend vom objet trouvé über found footage und sampling bis zum mashup, der nahtlosen Neukombination bestehender Materialien und Inhalte im digitalen Möglichkeitsraum des Internets. Einleitende Überlegungen führen in die weitgreifende Thematik des Symposions ein. (Prof. Dr. Petra Maria Meyer, Intendantin des Center for Interdisciplinary Studies (Forum) und Professorin für Kultur- und Medienwissenschaft an der Muthesius Kunsthochschule, Kiel)
14:00: Auflesen, was liegen bleibt – Zu Agnès Vardas Film „Die Sammler und die Sammlerin“
Die französische Filmregisseurin Agnès Varda gehört zu den GründerInnen der „Nouvelle Vague“ in Frankreich. Ihre Themen und ihre Kameraführung zeichnen sich durch eine radikal subjektive Suchbewegung aus, die sie Gesichtern, Orten und Dingen folgen lässt. In ihrem Film „Die Sammler und die Sammlerin“ (2000) geht sie den Spuren einer alten Tradition in Frankreich nach, der sog. Nachlese, dem Aufsammeln von übrig gebliebenen Früchten des Feldes nach der Ernte. Diese Reise führt sie auch zu Orten anderer liegen gelassener oder weggeworfener Dinge, zu „Fundstücken“. Der Vortrag behandelt die Verbindung von Filmsprache, Autobiografischem und den Fundstücken in diesem Film. (Prof. Dr. Theresa Georgen, Professorin für Visual Studies und Kunstgeschichte an der Muthesius Kunsthochschule, Kiel)
16:00: Phantome des Kinos
Phantome übersehener, längst abgelegter oder verloren geglaubter Bilder geistern durch ein Kino, das von Wiedergängern bevölkert wird, die keine letzte Ruhe finden. Bis in die Anfänge der Kinematografie zurückreichend, erlebt found footage erst im Experimentalfilm der 80er Jahre einen wahren Boom und wird zu seiner relevantesten Sub-Spezies, die auch einen kritischen Diskurs über den klassischen „Avantgarde“-Begriff auslöst. Heute ist die Verwendung von Sekundärmaterial zum ästhetischen Standard der Populärkultur geworden. In einem kommentierten Programm aus exemplarischen eigenen Arbeiten und Gemeinschaftsproduktionen mit Christoph Girardet stellt Müller künstlerische Techniken der Aneignung und Überführung von found footage in neue, autonome Werke vor: Wiederholungsstrukturen, materiale Transformationen und Methoden der Umcodierung. (Prof. Matthias Müller, Medienkünstler und Filmemacher, Professor für experimentellen Film an der Kunsthochschule für Medien, Köln; Kurator verschiedener Filmreihen, Festivals und Festivalsektionen, diverse Preise und Auszeichnungen, u.a. Preis der deutschen Filmkritik (1990, 1997 und 2000) und Deutscher Kurzfilmpreis für „Kristall“ (2006). Die gesamte Produktion des Medienkünstlers Matthias Müller kreist um die Auseinandersetzung mit Fremdmaterial.)
18:00: Objet trouvé als Medienanalyse – Zum ästhetischen Konzept des found footage-Films
Gegenüber einem rein instrumentellen Gebrauch bereits vorhandenen Bildmaterials zur effektiven Kommunikation zielt der found footage-Film auf die Polyvalenz des Materials. Dabei reicht die Spanne ideal-typisch von der Präsentation der Materialität des Zelluloidstreifens und der Körnigkeit frühen Kintopps in Ken Jacobs „Tom Tom The pipers son“ über die Evokation des erotischen Subtextes klassischer Narration in Joseph Cornells „Rose Hobart“ bis hin zur Analyse medienpolitischer Strategien in „Der gewöhnliche Faschismus“ von Michael Rom und seinem Autorenkollektiv. Anhand der genannten Filme will der Vortrag auch eine kurze historische und systematische Einführung in dieses vielleicht spannendste Genre des experimentellen Kinos geben und versuchen, dessen Position innerhalb einer Ästhetik der Moderne zu bestimmen. (Prof. Dr. Norbert Schmitz, Professor für Ästhetik an der Muthesius Kunsthochschule, Kiel)
20:30, Abendprogramm: „Düsseldorf, Notizen am Rande“ – ein found footage-Film von Stephan Sachs
Ort: Kommunales Kino, Haßstr. 22, Kiel
Der Film, der zum Teil aus bisher unveröffentlichtem historischen Filmmaterial besteht, lässt Spuren von Ereignissen und Bildern aus der Düsseldorfer Stadtgeschichte von 1926 bis 1953 an die Oberfläche treten. Aufnahmen verschiedenster Herkunft und Motivation, von Privataufnahmen über Wochenschauausschnitte bis zu sachlichen Bestandsaufnahmen von Kriegsschäden ermöglichen unterschiedlichste Perspektiven. Verschiedene Sichtweisen bilden die Basis für den Versuch, sich grundlegenden Phänomenen zu nähern, die nicht nur diese Zeit betreffen. Dieser persönliche „Filmessay“ stellt Fragen, versucht vereinfachenden historischen Erklärungen aus dem Weg zu gehen und lässt vielmehr die Vielschichtigkeit der Bilder sprechen. (Prof. Stephan Sachs, Künstler/Filmemacher, Professor für Film/time based media an der Muthesius Kunsthochschule, Kiel. Arbeiten u.a. in den Bereichen des Experimental- und künstlerischen Dokumentarfilms. Diverse Teilnahmen an internationalen Festivals, Förderpreisträger des Landes NRW und zweifacher Preisträger der deutschen Filmkritik.)

Samstag, 19.1.08

10:00: Fundstücke wiedergefunden
Fundstücke spielen in den Künsten seit langem eine Rolle. Auch in ganz alten. Bedeutet das, dass Fundstücke in Kunst nicht nebensächlich sondern wichtig sind? Unverzichtbar? Bei der Beschäftigung mit dieser Frage werden Beispiele aus alter und weniger alter Kunst sowie aus eigener Produktion vorgestellt. (Prof. Ludger Gerdes, international bekannter Künstler. Nach einer Professur für Malerei an der HFG Karlsruhe seit 2005 Professor für Malerei an der Muthesius Kunsthochschule, Kiel. Malerei, Objekte und Installationen des renommierten Künstlers wurden vielfach ausgestellt, z.B. auf der documenta oder der Biennale Montréal.)
11:30: Fundstücke im intermedialen Prozess – zwischen Fotografie und Skulptur
Der Beitrag thematisiert die fotografischen Arbeiten Thomas Demands im intermedialen Feld zwischen Fotografie und Skulptur. Die Arbeiten basieren auf fotografischen Fundstücken aus Demands persönlichem Fotoarchiv, das aus unterschiedlichen medialen Kontexten und Archiven zusammengestellt ist. Fundstück, Archiv und fotografisches Verfahren bei Thomas Demand werden im Spannungsverhältnis von Kunst und visueller Kultur und im Kontext neuer Tendenzen des Intermedialen betrachtet, die den medialen Umbruch vom Analogen zum Digitalen ebenso wie den Gebrauch und den Gehalt medialer Bilder kritisch einbeziehen. Dem Verhältnis von Bildkritik, Bildgedächtnis und Diskurs kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu. (Prof. Dr. Inga Lemke, Kunst- und Medienwissenschaftlerin, Professorin für Medienästhetik an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn. Mehrjährige wissenschaftliche Mitarbeit am Sonderforschungsbereich 240 „Bildschirmmedien“ an der Universität Siegen, zweijähriges Visiting Scholarship an der NYU, New York, USA.)
15:00: „Re-made – sinnliche Auferstehung der Kunst nach ihrer ’philosophischen Entmündigung’ (A. C. Danto)“
An verschiedenen Beispielen aus der Kunst der letzten Jahre, vor allem aus dem Bereich der technischen Bilder, aber auch an land art und appropriation art wird eine Auseinandersetzung mit dem argumentativen Wert der klassischen Beispiele Arthur C. Dantos hinsichtlich objet trouvé und Wiederverwertung bei Duchamp und Warhol als Beleg für ein „Ende der Kunst“ durch Aufgehen in einer philosophischen Geste geführt und Dantos These invalidiert. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung mit Danto führt zu einer allgemeinen ästhetischen These hinsichtlich der Einheit „Kunstwerk“ unter den Bedingungen eines performativen (Selbst-) Widerspruchs. Abgerundet wird das ästhetisch-theoretische Argument mit einer korrespondierenden Blicknahme klassischer Kunst, in der sich die Idee eines Remix oder einer Refiguration „neuer“ Kunst aus vorgegebenen Elementen zumindest in Ansätzen ebenfalls aufweisen lässt. (Prof. Dr. Josef Rauscher, Universitätsprofessor für Philosophie an der Johannes Gutenberg Universität, Mainz. Zuvor Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Koblenz-Landau, Mainz und Eichstätt. Zahlreiche Veröffentlichungen u.a. zur Ästhetik des objet trouvé, zum Ding-Begriff in der Philosophie sowie zu Sprache und Ethik.)
16:30: Wie finden die Fundstücke Eingang in das Werk?
Anhand der Präsentation von fünf eigenen analogen Videos und digitalen Animationen, in denen auf Fundstücke unterschiedlichster Art zurückgegriffen wird, sowie anhand der Beschreibung einiger fremder zeitgenössischer Werke wird über mögliche Aneignungsstrategien reflektiert. (Franziska Megert, international bekannte Schweizer Künstlerin (Neue Medien), Diplom-Psychologin. Zahlreiche Ausstellungen und Teilnahmen an internationalen Video-Festivals. 1993/94 Gastprofessur an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris. 1994 Vorlesungen an der Université du Québec und an der Université Concordia, Montréal (Kanada).)
19:00: Abendprogramm und Imbiss. AusstellungsEröffnung der Kunsthalle zu Kiel: Collection Videos & Films Isabelle & Jean-Conrad Lemaître (20.1. - 2.03.2008)
Erstmals in Deutschland stellt die Kunsthalle zu Kiel die französische Sammlung Lemaître in einer Auswahl von 20 Videos und Filmen vor. In den 1980er Jahren begannen Isabelle und Jean-Conrad Lemaître Kunst zu sammeln. Seit 1997 gilt der Fokus ihres Interesses der Videokunst, die sich seit den 1960er Jahren als künstlerisches Medium zu etablieren begann. Heute ist die Kollektion eine der bedeutendsten französischen Film- und Videosammlungen mit Arbeiten internationaler zeitgenössischer Künstler von gefeierten Stars bis zu jungen, bislang weniger bekannten Talenten.

Sonntag, 20.1.08

10:00: Sinnfindende Maschinen der Computergesellschaft – Open Innovation in angebotsorientierten Medien
Kreative Lösungen für einen Film, ein Werk oder ein Produkt zu finden, obliegt zukünftig den Nerds, den Bloggern, den Gamern, den Wikipedianern, den Linuxern, den Youtublern und den Aktivisten vielfältiger Open Innovation-Projekte. In diesem Crowdsourcing finden sich kreative Ideen eines Volkes in medialen Kristallisationspunkten ein und stellen sich dem Ranking der Betrachter. Die kommende Computergesellschaft sucht nicht Vorfindbares, sondern sie loggt Individuen als ihr Vorfindbares in vernetzte Medien ein. So finden vernetzte Computer unbefragt jedes Individuum und versorgen es mit medialen Sinnangeboten. Zukünftig sucht niemand mehr in den Medien nach Fundstücken, sondern ihn finden die Fundstücke selbsttätig. Nicht die individuelle Sinnsuche, sondern die Zurückweisung des Sinnangebots bestimmt den individuellen Medienkonsum. (Dr. Andreas Schelske, Soziologe, Autor und Berater mit eigenem Unternehmen 4communication: www.soziologischeberatung.de. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte in den Bereichen gesellschaftlicher Wandel, Veränderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft, Internetsoziologie, Semiotik und Bildwissenschaften.)
11:30: Biometrical Cut Ups – Das Ende der Augenarbeit
Ich möchte mich von found footage-Material aus meinem Archiv zu Fragen und Argumenten anregen lassen. Ich werde also nicht Bildmaterial als sekundäre Verifikationsinstanz eines Gedankens einsetzen, sondern als primären Auslöser für eine Fragestellung. Es geht mir um eine Klärung der Frage, was mit unseren sinnlichen Fähigkeiten und unserem Können passiert, wenn Maschinen immer schneller, billiger und zuverlässiger etwas herstellen können als der menschliche Organismus. Was passiert mit den Fähigkeiten unserer Augen, wenn die Maschinen uns auf diesem Gebiet mehr und mehr das Sehen abnehmen, weil sie es schneller, billiger, ermüdungsfreier und präziser können? Werden dann menschliches Sehen und die Arbeit der Augen zu folkloristischem Kitsch, zur „Kunst der Beobachtung“, zu etwas, was nur noch in Themenparks eine Rolle spielt? Wird das Sehen mit den eigenen Augen nur noch innerhalb eines inszenierten Spektakels, in welchem dem Betrachter etwas „zu sehen gegeben“ wird, gesellschaftlich akzeptiert? (Prof. Dr. Hans Dieter Huber, Künstler und Kunsthistoriker, nach einer Professur für Kunstgeschichte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, seit 1999 Professor für Kunstgeschichte der Gegenwart, Ästhetik und Kunsttheorie und seit Mai 2006 Leiter des internationalen Master-Studiengangs „Medienkonservierung“ an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Assoziierter Professor am Graduiertenkolleg „Bild, Körper, Medium“ an der HfG Karlsruhe. Von März bis  Juni 2007 Senior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien.)
15:00: Interaktive Medienkunst als Medium performativer Wissensspeicher
Der Beitrag beschäftigt sich aus der Perspektive digitaler Medienkunst und ihrer Szenografie mit dem Begriff des begehbaren Wissensraumes. Wie präsentiert man Wissen als Raum, der betreten werden kann? Der Begriff Wissensraum bezeichnet die Verbindung von Raum und digitaler Information zu einer interaktiven Architektur. Physikalischer Raum wird elektronisch verstärkt zu einer inszenierten Interface-Umgebung und bietet Zugang zu Information, die im Raum verkörpert ist und über den Körper erfahrbar wird als Medium performativer Wissensspeicher. Die Inszenierung begeh(r)barer und vernetzter Wissens- und Kommunikationsräume mit Mitteln der interaktiven Medienkunst erzeugt neuartiges Wissen, indem sie durch Mittel wie digitale Speicherung, statistische Verfahren und durch eine medienarchäologische Herangehensweise sichtbar macht, was sonst unsichtbar bliebe. Anhand ausgewählter eigener Arbeiten werden Praktiken der Inszenierung und Wahrnehmung von interaktiver Medienkunst vorgestellt, die auf Fundstücke zurückgreifen, um neue Kontexte aufzuzeigen. Informationen im Online-Archiv von „netzspannung.org“ oder tagesaktuelle Nachrichten in der Stadtraum-Installation „Energie-Passagen.de“ zeigen die Relevanz von Fundstücken in Wissensräumen durch ihre Integration in neue Kontexte. (Monika Fleischmann, Medienkünstlerin und Leiterin der Media Arts & Research Studies (MARS) und der eCulture Factory des Fraunhofer Instituts IAIS, Sankt Augustin. 1987 Mitbegründerin von Art+Com. Inszeniert interaktive Bild- und Tonrelationen in Echtzeitumgebungen. Ausstellungen, Auszeichnungen, Publikationen, Vorträge und Lehre im In- und Ausland. 1992 Goldene Nica der Ars Electronica für interaktive Kunst, Linz/Österreich.)
16:30: Podiumsdiskussion
Moderation: Heinz-Norbert Jocks. Mit: Prof. Tom Duscher, Professor für Digitale Medien/Intermedia an der Muthesius Kunsthochschule, Kiel, und KünstlerInnen/WissenschaftlerInnen des Symposions. (Heinz-Norbert Jocks, Philosoph, Kunstwissenschaftler und Autor, lehrt Fotodesign an der FH Düsseldorf und an der Kunsthochschule Kassel.)
zurück zum Inhalt