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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

Gefahr für Sender-Profil und Produktionswirtschaft

AG DOK schreibt an ARTE-Verantwortliche


In einem Schreiben an ARTE-Präsident Dr. Gottfried Langenstein, Vizepräsident Jérome Clement und Programmdirektor Dr. Christoph Hauser hat die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm ihre Befürchtungen hinsichtlich aktueller Tendenzen in der ARTE-Programmplanung zum Ausdruck gebracht. Die AG DOK kritisiert einen erkennbaren Trend zum Ankauf konfektionierter Serien bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Neuproduktion anspruchsvoller Kulturprogramme.

Im Folgenden dokumentieren wir den Wortlaut dieses Briefes:

An den Präsidenten
des Europäischen Kulturkanals ARTE
Herrn Dr. Gottfried Langenstein
Postfach 40 40
55100 Mainz

Frankfurt, 27. März 2009

Betr.: Aktuelle Tendenzen der ARTE- Programmplanung

Sehr geehrter Herr Dr. Langenstein,

mit Sorge beobachten die in unserem Verband zusammengeschlossenen Film- und Fernsehproduzenten die Tendenz der deutschen ARTE-Programmplanung, konfektionierte Kaufproduktionen an die Stelle eigener redaktioneller Entscheidungen und zu setzen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sowohl die Sendeflächen als auch die finanziellen Spielräume für die engagierte Neuproduktion von Original-Beiträgen massiv beschnitten werden.

Wir halten diese Entwicklung in mehrfacher Hinsicht für gefährlich.

Zum einen, weil sie die Einzigartigkeit des ARTE-Profils bedroht. Ziffer 2.1 des Arte-Staatsvertrags verlangt ausdrücklich, „Fernsehsendungen zu konzipieren, zu gestalten und ... auszustrahlen, die in einem umfassenden Sinne kulturellen und internationalen Charakter haben und geeignet sind, das Verständnis und die Annäherung der Völker in Europa zu fördern.“ Durch den Ankauf kompletter Serien gibt der Sender sein wichtigstes Pfund, nämlich genau diese Konzeptions- und Gestaltungshoheit, aus der Hand – und ob die inhaltlichen Visionen der ARTE-Gründer durch den vermehrten Einsatz amerikanischer Serienware oder anderer weltmarktgängiger Produkte (etwa aus dem Hause BBC) einzulösen sind, ist doch mehr als fraglich. Wenn auf „Arte“ irgendwann auch nur noch das gleiche läuft, was weltauf, weltab über alle Kanäle flimmert, wird das Programm des Europäischen Kulturkanals austauschbar und steht in letzter Konsequenz in der Gefahr, sich selbst überflüssig zu machen. Nicht ohne Grund wird in Ziffer 19.2 des Gründungs-vertrages „angestrebt, einen möglichst großen Anteil an Erstsendungen auszustrahlen“. Auch das ist mit dem aktuellen Trend der Programmplanung nur schwer vereinbar.

Zum anderen scheint uns problematisch, dass diese Strukturveränderung allzu offensichtlich von dem Bemühen getragen ist, nun auch noch das ARTE-Programm quotenträchtig auf Stromlinie zu bürsten. Kein Politiker und auch sonst kein vernünftiger Mensch hat unseres Wissens ARTE jemals ultimativ unter Erfolgszwang gestellt, und schon gar nicht die Anwendung des absurden Quotendenkens für einen Bereich verlangt, für den sich allein schon durch den Oberbegriff „Kultur“ die Messlatte der Verwertbarkeit eigentlich von selbst verbietet. Die jetzt offenbar angestrebte multiple Nutzung angekaufter Serien auf anderen Programmflächen von ARD und ZDF konterkariert ebenfalls die Gründungsidee von ARTE und dürfte im Bereich der Aufsichtsorgane vermutlich nicht auf ungeteilten Beifall stoßen.

Und zum dritten wissen Sie sehr genau, dass Sie damit der deutschen Produktionswirtschaft Auftragsvolumen in mehrstelliger Millionenhöhe entziehen und die Produktion vieler wichtiger und kulturell erfolgreicher Filme unmöglich machen. Das ist vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um die anhaltend schwierige Lage der deutschen Film- und Fernsehproduktion genau das falsche Signal. Eine Verminderung des Auftragsvolumens bei ARTE trifft die gesamte Breite unserer Produktionslandschaft und dabei insbesondere diejenigen, die sich bei minimalen Gewinnmargen aus Idealismus der Entwicklung und Produktion kultureller Filmprojekte verschrieben haben. Sollte sich der bereits jetzt ablesbare Trend Ihrer Programmpolitik bestätigen, wird das eine ganze Reihe unabhängiger Produktionsfirmen, aber auch zahlreiche einzelne Autoren, Regisseure und andere Filmschaffende in existenzielle Schwierigkeiten bringen.

Und das ganz ohne Not, denn finanzielle Gründe kann ARTE für eine solche programmliche Neuorientierung sicher nicht geltend machen. In der letzten Gebührenperiode sind die verfügbaren Mittel für das deutsche ARTE-Programm ausweislich des KEF-Berichts immerhin um zehn Millionen Euro unterschritten worden.

Wir würden uns, sehr geehrter Herr Langenstein, freuen, wenn Sie unsere doch sehr ernsten Bedenken zerstreuen und statt dessen das Festhalten an der seitherigen ARTE-Konzeption verkünden könnten. An einer Konzeption, deren Erfolg sich sicher nicht in Einschaltquoten, aber in einer beispiellosen kulturellen Erfolgsgeschichte, in herausragenden Film- und Fernsehproduktionen und in unschätzbaren Impulsen für den kulturellen und politischen Diskurs auch in unserem Land ausdrückt.

Sicher werden Sie verstehen, wenn wir diesen Brief auch der medienpolitisch interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis geben.

Mit freundlichen Grüßen
für den Vorstand der AG Dokumentarfilm
(Thomas Frickel)