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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

Beständiger Kampf

„Leben für die Kunst“ (Elisabeth Saggau, D 2012)


„Es ist Ausbeutung hoch drei“, sagt Tadeusz Galia, seit knapp 30 Jahren Leiter, Bühnenbauer, Kaffeekocher, Regisseur, Darsteller und noch viel mehr ... des polnischen theaters in Kiel. „Alle Mitarbeiter dieses Theaters und alle Freunde werden eingespannt ... wir machen alles, um Kosten zu sparen.“ Denn die Kunst geht auch 30 Jahre nach der Flucht des damals dort recht berühmten Schauspielers und Theaterdozenten aus Breslau vor dem damaligen Kriegsrecht in Polen nach dem Brot, mag das auch noch so karg sein. Notgedrungen, aber ebenso kreativ mit dem beständigen finanziellen Notstand der Kultur umgehend. Zum Jubiläum des polnischen theaters hat die Kieler Dokumentarfilmerin Elisabeth Saggau dessen Geschichte und die seines Leiters nachgezeichnet und ein eindringliches Porträt eines Künstlers geschaffen, der „für die Kunst lebt und nicht für das Geld“.


Lebt für die Kunst: Theaterleiter Tadeusz Galia (Still aus dem Film)
Der Topos des wenn nicht brotlosen, so zumindest brotarmen Künstlers hätte leicht romantisierend ausfallen können, nicht jedoch bei Galia und seiner Truppe, von der er mit ebenso ironischem wie bitteren Lächeln in die Kamera sagt: „Ich habe genug Kraft gehabt, die künstlerischen Idioten zu finden, die bereit sind, ohne Geld zu arbeiten.“ Hier ist einer erfahren im Improvisieren, im aus nichts etwas Machen, denn das ist das Credo seiner Theaterkunst, die Theater als Leben (und manchmal auch umgekehrt) begreift.

Und dazu gehört eben auch, die beständige Krise nicht als demotivierend, sondern als stetigen Ansporn zu begreifen. So verliert Galia auch nur die wenigen nötigen Worte über die anhaltende und sich verschärfende Unterfinanzierung (nicht nur) privater Theater. 5.000 Euro habe das Land jüngst wieder an Förderung gestrichen, und Galia vermutet richtig, dass daran nicht zuletzt Künstler wie er und sein Ensemble inklusive der zahlreichen ehrenamtlichen Helfer Schuld seien, die immer wieder bewiesen, dass man auch am untersten Rand der Finanzierung noch Kunst auf hohem Niveau machen kann – wenn man für die Kunst lebt. Ein beständiger Kampf, während dessen Galia sich nur selten entmutigen ließ. Ein Stehaufmännchen für das Theater.

Wie erzählt man so ein Leben für die Kunst, zudem eines ehemaligen Flüchtlings, der 1982 „nur mit einem superschweren Koffer“ nach Kiel kam, ohne Zeigefinger gegen die chronische Geldnot im Kulturbereich und ohne am Mythos vom armen Poeten zu weben? Saggau hat einen einleuchtenden und den Dokumentarfilm über die 74 Minuten immer wieder spannend machenden Kniff gefunden. Sie verfolgt die zur Zeit der Dreharbeiten gerade neueste Inszenierung des polnischen theaters, N. Richard Nashs „Kommt so wie ihr seid“, von den ersten Leseproben über die Unbillen des Bühnenbaus und Durststrecken nach dutzenden von Proben, bei denen man nicht so recht von der Stelle kommt, bis hin zur erfolgreichen Premiere. Ein Stück im Stück (genauer: im Film) also, welches das zu erzählende Stück Theaterleben spiegelt und kommentiert. Denn eben weil für Galia und sein Team das Leben Kunst ist, reflektiert die Kunst wie auf dem Theater immer auch das Leben. Der Überlebenskampf des Theaters und seines Leiters als Kampf um das zu inszenierende Stück. Wie damals vor 30 Jahren das Theater zu gründen, ist es in jeder Inszenierung: Ein bei Null Anfangen, ein sich Vortasten, Erdulden von Rückschlägen, Weitermachen gegen alle Fährnisse und Widerstände, wovon die finanziellen höchstens die lästigsten sind. „Kommt so wie ihr seid“ ist dabei ein fast schon orakelnder Titel, denn so kam Galia einst nach Kiel: wie er war, mit nichts oder kaum etwas in den Taschen als der Liebe zum Theater und der Kunst als Leben. Und vielleicht muss man genau so auf die Bühne kommen ...


Ist sich für nichts zu schade, wenn es um die Theaterkunst geht: Tadeusz Galia beim Bühnenbau
Da Galia Schauspieler und Regisseur ist, weiß er sich auch in den zahlreichen (aber durch den dramaturgisch roten Faden der Theaterinszenierung im Zwischenschnitt nicht zu zahlreichen) „talking head“-Sequenzen in Szene zu setzen. Kein langweiliges Erzählen, sondern stets mit dem Drive einer lebendigen Erinnerung. Der Film erhält dadurch einen faszinierenden Protagonisten, den die Kamera auch dabei beobachtet, wie er sich für nichts zu schade ist und im Blaumann auch mal am Bühnenbild schraubt. Trotz solcher Nähe zum Protagonisten verharrt der Film nicht im Porträt des Künstlers Galia, sondern es gelingt ihm, die unbändige Kraft einzufangen, die Menschen wie Galia und seine Schauspieler und Mitarbeiter antreibt. Ein Film nicht zuletzt auch über die (Über-) Lebenskunst des Lebens für die Kunst. Sehenswert – nicht nur deshalb! (jm)

„Leben für die Kunst“, D 2012. 74 Min., Buch, Regie: Elisabeth Saggau. Mit Tadeusz Galia, Jutta Ziemke, Meike Neumann, Christina Dobirr, Simon Kase, Linda Stach u.a. Gefördert von der Filmwerkstatt Kiel der FFHSH.
Premiere: Mo, 7.5.2012, 20.30 Uhr, KoKi Kiel. Weitere Aufführung: Mi, 9.5., 18.30 Uhr