4. Transgender Film Festival
„Stonewall“ – Kinofilm kontrovers
Ist STONEWALL von Roland Emmerich der erste große Kinofilm, der den Ursprung der CSD-Paraden zeigt und deutlich gegen Diskriminierung Stellung bezieht? Oder ist STONEWALL ein lächerliches Machwerk, eine Geschichtsfälschung, Inbegriff von Transphobie und Rassismus und ein Film, den es besser gar nicht geben sollte?
STONEWALL wird im Rahmen des
4. Transgender Film Festivals am Donnerstag, 14. und Samstag, 16. April, jeweils 17.45 Uhr im
Traum-Kino gezeigt und zur Diskussion gestellt. Die Kontroverse um den Film ist noch interessanter als der Film selbst. Anbei einige Quellen dazu:
Der Boykott geht dabei von einem Geschichtsbild aus, für das es aufgrund von Augenzeugen zwar Belege gibt:
zugleich existieren aber auch gegenteilige Augenzeugenberichte, nach denen Roland Emmerichs Darstellung als legitim, vielleicht sogar als zutreffend gelten kann:
Folgt man dieser Darstellung, war der Boykottaufruf, der sogar ohne Kenntnis des gesamten Films erfolgte, falsch, verantwortungslos und hat einem großen LGBT-Projekt schwersten Schaden zugefügt. Nach der Premiere von STONEWALL auf dem Toronto-Filmfestival und in den US-Kinos war der überwiegende Tenor der Kritiker in Bezug auf Darsteller und Dramaturgie sehr negativ, oft mit Häme und Spott garniert:
Es gab aber auch eine kleine Anzahl positiver Reviews:
- „According to the account from historian David Carter, author of 'Stonewall: The Riots That Sparked The Gay Revolution' then Emmerich's take on it all is well rooted in facts.“ (Roger Walker-Dack/Queertiques, http://www.queertiques.com/2015/09/stonewall.html)
- „STONEWALL doesn’t write out trans folks, drag queens or people of Color.“ (http://southfloridagaynews.com/Film/stonewall-film-doesn-t-write-out-trans-folks-drag-queens-or-people-of-color.html)
- „STONEWALL does get many aspects of the Stonewall saga right. It did not deserve the attacks that were hurled at it.“ (David-Elijah Nahmod/ThePrideLA, http://thepridela.com/2016/01/best-lgbt-films-of-2015-in-my-humble-opinion)
- „But STONEWALL is far from a disaster. There are more than a few moving moments, one or two notable performances, and lots of interesting information about Greenwich Village and gay life in the 1960s.“ (Mick LaSalle/SF Gate, http://www.sfgate.com/movies/article/Stonewall-will-do-until-a-better-movie-6525404.php)
- „The theme of STONEWALL is fundamental and significant.“ (Sky Gilbert, http://skygilbert.blogspot.de/2015/10/roland-emmerich-is-not-enemy.html)
- „A compelling new film“, „STONEWALL Indicts Small Town Anti-Gay Stigma and Crackles With an Oscar-Caliber Trans Turn by Puerto Rican Jonny Beauchamp“ (John Townsend/Lavender, http://www.lavendermagazine.com/our-lives/stonewall-indicts-small-town-anti-gay-stigma-and-crackles-with-an-oscar-caliber-trans-turn-by-puerto-rican-jonny-beauchamp/)
- „STONEWALL is a movie which must be seen by anyone who believes in brilliance.“ (Ulkar Alakbarova, http://moviemovesme.com/2015/09/19/tiff-15-review-stonewall-2015)
In der Internet-Movie-Database gab es im September mit drei (von maximal zehn möglichen) Sternen eine sehr niedrige User-Bewertung (
http://www.ufa-dresden.de/programm/filmdetail/stonewall.html). Seit dem gleichfalls schwach laufenden DVD-Verkaufsstart in den USA (19.1.2016) ist der Durchschnittswert in der IMDB aber kontinuierlich gestiegen, auf aktuell 4.0 (
http://www.imdb.com/title/tt3018070/ratings) mit weiter steigenden Tendenz, was auf eine erhöhte Reputation hindeutet und auf eine Neubewertung des Films hinausläuft.
In den USA spielte er in den Kinos nur 188.000 Dollar ein (1% vom Produktionsbudget, bei einem durschnittlichen Eintrittspreis von 8 Dollar ergibt sich die Zuschauerzahl 23.500) (
http://www.the-numbers.com/movie/Stonewall-(2015)#tab=summary). In Deutschland hatte er 6.700 Kinobesucher, was proportional dem US-Ergebnis entspricht: die Besucherzahl in den USA ist 3,5 mal so hoch, es leben aber auch 4 mal so viele Menschen in den USA, das Ergebnis in Deutschland ist minimal höher. „Stonewall“ ist in den USA ein bekannter Symbol-Begriff, in Deutschland nicht (lediglich CSD ist bekannt). Auch in Deutschland ist er mittlerweile aus den Kinos verschwunden, nur sporadisch kommt es noch zu Kinoeinsätzen.
Die Kritiken in Deutschland waren im Vergleich zu den USA eher wohlwollend und drückten oft Unverständnis über den Boykott aus:
- „Noch nie hat ein Mainstream-Film eine derart dezidiert queere (und von heterosexuellen Identifikationsfiguren freie) Geschichte für ein an den heteronormativen Erzählkonventionen Hollywoods geschultes Publikum auf die Leinwand gebracht. Das muss nicht jedem gefallen, ist aber in jedem Fall bemerkenswert. Und der Konsequenz und Leidenschaft, mit der Emmerich sein Herzensprojekt als Denkmal für all die namenlosen Stonewall-Helden bis hin zum emotional zweifellos effektiven Ende umsetzt, kann man ohne Frage Respekt zollen.“ (Süddeutsche Zeitung, 20.9.2015, http://www.sueddeutsche.de/kultur/kino-polizisten-statt-aliens-1.2655812)
- „Der Film zeigt durchaus das Panorama hispanoamerikanischer und afroamerikanischer Figuren in der Szene.“ (Katja Nicodemus/NDR, http://www.ndr.de/kultur/film/Drama-Stonewall,stonewall104.html)
- „STONEWALL ist ein sympathischer und manchmal sogar richtig sehenswerter Film.“ (Jörg Taszman/Deutschlandradio Kultur, http://www.deutschlandradiokultur.de/neu-im-kino-stonewall-der-film-zu-roland-emmerichs-coming.1013.de.html?dram:article_id=337246)
- „Er verdient ein größeres Publikum.“ (Badische Zeitung, http://www.badische-zeitung.de/kino-11/stark-emmerichs-homo-film-stonewall--113882424.html)
- „Die Besucher in den deutschen Kinos sollten ihn freundlich bestaunen als einen Akt der Liebe." (Wolfgang Höbel/Spiegel Online, http://www.spiegel.de/kultur/kino/schwulendrama-stonewall-von-roland-emmerich-a-1063484.html)
- „Reingehen! Es lohnt sich.“ (Chantal Louis / EMMA, http://www.emma.de/artikel/ein-denkmal-fuer-stonewall-330881)
- „5 Gründe, den neuen Stonewall Film nicht zu verpassen!“ (http://www.queerpride.de/5-gruende-den-neuen-stonewall-film-nicht-zu-verpassen-27888)
- „STONEWALL zeigt, was die Kriminalisierung von Homosexuellen in den 60er-Jahren bedeutet hat.“ (stern.de, Notiz ganz unten auf dieser Seite: http://www.stern.de/kultur/film/kinostarts--mockingjay-mit-jennifer-lawrence--roland-emmerich-ohne-explosionen-und-the-diary-of-a-teenage-girl-6562350.html)
- „Roland Emmerich erzählt mit einer unglaublichen Herzlichkeit und Warmherzigkeit von damals" (Peter Beddies/Filmclicks, http://www.filmclicks.at/Filme/Stonewall-511327)
- „Jeremy Irvine (Die Frau in Schwarz 2: Engel des Todes) nutzt die Chance der Glanzrolle, die ihm Jon Robin Baitz geschrieben hat, vergleichbar vielleicht mit derjenigen des Terry Malloy eines Marlon Brando in Die Faust im Nacken: ein makellos strahlender Held, der die paar Blessuren, die ihm das Schicksal verabreicht, spielend wegsteckt. Irvine spielt auf der Klaviatur der Gefühlslagen von Neugier, Wut, Demütigung, Glück, Lust, Schmerz und auch die Wandlung vom Grünschnabel vom Lande zum selbstsicheren, geouteten jungen Studenten von der Columbia-University facettenreich und mit faszinierender Leinwandpräsenz – in den entsprechenden Momenten mit jenem Seidenglanz in den Augen, der oft das gewisse Etwas von Stars ausmacht.“ (http://www.filmjournalisten.de/2015/11/19/stonewall)
Neben einem kleinen, nicht-promoteten Kinostart Anfang Januar in Wien gibt es derzeit in keinem weiteren Land einen Kinostart, STONEWALL kommt international nur noch auf DVD/BluRay/VOD heraus. Die Fotos von den Stonewall-Riots stützen die Darstellung des STONEWALL-Films – Foto-Quellen:
Der Boykottaufruf von 2015 kann so nicht richtig sein, weil er Statements wie diese nicht zu integrieren vermag:
- „Auf der Straße befanden sich vielleicht 25 junge weiße Männer, auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand eine Drag oder Semi Drag, und ich habe im Gegensatz zu anderen Augenzeugen kaum Schwarze gesehen.“ (http://m-maenner.de/2015/09/jeder-wusste-jetzt-oder-nie)
- „And that, at least, Emmerich gets right.“ (http://edition.cnn.com/2015/10/07/opinions/faderman-stonewall-controversy)
- „However, what I observed the second night [of the uprising] was that there were some 'gay women', mostly butches, a few people of color, but the absolute majority was gay white men.“ (http://www.huffingtonpost.com/dana-beyer/a-study-in-contrasts-tran_b_8233250.html)
- Murray writes that „men familiar with the milieu then insist that the Stonewall clientele was middle-class white men and that very few drag queens or dykes or nonwhites were ever allowed admittance.“ (http://igfculturewatch.com/2002/03/07/the-myth-of-a-transgender-stonewall)
- Interview mit Zeitzeuge Williamson Henderson, Berater für den Film STONEWALL: http://live.huffingtonpost.com/r/highlight/55c3bacf78c90a8bc40000f4
- „Archival photos show the large numbers of white rioters.“ (http://www.huffingtonpost.com/fandor/myth-thing-what-stonewall_b_8186480.html)
- „The vast majority of these rioters were indeed, young, white, gay men. To demean their acts of courage that night, for any social or political reason, is simply shameful.“ (http://thefederalist.com/2015/08/11/gay-versus-trans-bar-fight-breaks-out-over-stonewall)
- „The events dramatized were an accurate portrayal of characters and the raw emotions and yes, the violence.“ (http://fresnostonewalldemocrats.org/archives/293)
- Will Kohler: „This is where the legend of Sylvia Rivera comes in. It must be stressed that it has never been proven or documented by any of those arrested, ow who witnesses the beginning of the riot that Sylvia Rivera was at the Stonewall Inn at the time of the raid. Quite the opposite Her good friend Marsha P. Johnson had said many times that she was the one who told Sylvia about the raid after it started and things were well underway. Also later both Marsha and Sylvia claimed to be inside the bar, and later claimed they were outside throwing ’quarters’, ’heels’ and the ’first brick’. I personally knew both Marsha and Sylvia. And Sylvia never mentioned being at Stonewall Inn until well over 20 years later when she was trying to raise money for a Trans-Youth Shelter Project. That being said regardless of if Sylvia Rivera was there or not she was a great woman who helped LGBT street youth in her lifetime and is a hero for that in itself, but the lack of any proof, even those of eye witnesses and those in the bar makes Rivera actually being at Stonewall and ’throwing the first heel’ more of a legend than a historical fact.“ (http://www.back2stonewall.com/2015/08/the-true-history-of-the-stonewall-riots-june-28-june-31-1969-stonewall-45.html)
- Tim Stewart-Winter, who studies the history of gay movements at Rutgers University, says it’s actually unclear who started the Stonewall riots. „We don’t know who threw the first brick just because no one knew at the time that this would be an event of world historical importance.“ (http://www.npr.org/2015/09/24/442857514/the-big-question-behind-stonewall-backlash-who-threw-the-first-brick)
- „We know nothing conclusively. Besides, it’s wrongheaded to be overly concerned with pinning one clear-cut act on one identifiable person, in a misguided attempt to say that so-and-so rather than so-and-so ’started’ Stonewall, and that therefore history teaches us that X rather than Y is true. A heterogeneous street crowd started the resistance at Stonewall, not a particular person.“ (http://takingnote.blogs.nytimes.com/2015/08/26/who-threw-the-first-brick-at-stonewall)
- „The question of who sparked the uprising has long been contentious, and there is no definitive answer.“ (https://cenhum.artsci.wustl.edu/articles/Andrea-Friedman-Stonewall-history-debate)
- „Almost everything else about Stonewall remains uncertain.“ (http://www.villagevoice.com/film/queens-of-the-night-what-really-happened-at-the-stonewall-inn-6393707)
- Zitate der Buch-Autoren Eric Marcus, Martin Duberman, David Carter: http://blog.fawny.org/2014/10/13/stonewalllies
Zwei polemische Statements:
Die Hysterie scheint sich zu legen, und eine unaufgeregte, offene, differenzierte Sicht auf Schwächen und Stärken des Films setzt sich durch. Der IMDB-Wert ist weiter gestiegen auf 4.2 (
http://www.imdb.com/title/tt3018070) – zu spät, das Produtionsbudget von 18 Millionen Dollar ist weg.
(zusammengestellt von Andreas Steffens, Traum-Kino)