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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

11. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Surreales ganz real

Eindrücke vom Kurzfilmabend des 11. Filmfests Schleswig-Holstein Augenweide

Da hat Moderator Eckhard Pabst vom Kommunalen Kino in der Kieler Pumpe schon Recht: Den „bunten Abend“ mit den Kurzfilmen aus, über oder von Schleswig-Holsteinern unter ein Motto zu stellen, fällt nicht nur schwer, sondern wird der Vielfalt der Filme auch nicht gerecht. Dennoch lassen sich Brücken schlagen, Trends entdecken – einer davon ist das Surreale. Und über dessen Kamm wollen wir die Kurzfilme hier mal scheren.
Das beginnt schon in „Taxi to Daydream“ von Dirk Manthey, Ansgar Ahlers und Eder Augusto. Ein Taxi rollt durch São Paulo. Dass sein Fahrer (cool am Steuer wie in den Dialogen: Pierre Semmler) aus Deutschland stammt, mag ungewöhnlich für die brasilianische Metropole sein, aber möglich. Als er seinen beiden Fahrgästen ein norddeutsch eisgekühltes „Flens“ aus dem Handschuhfach zaubert, sind die allerdings so erstaunt wie der Zuschauer. Mehr noch: Der Tag wird zum surrealen Traum, wenn die Fahrgäste am Fenster plötzlich statt São Paulos die Kieler Hafenkulisse vorbeiziehen sehen, von der ihr Fahrer schwärmt: „Schiffe, groß wie Häuser, mitten in der Stadt ...“ Umgekehrt staunt der angetrunkene Kieler Fahrgast, der gerade seinen „Frauenfrust“ in einigen Gläsern zu viel hat ertrinken lassen, nicht schlecht, als plötzlich eine feurige Brasilianerin zusteigt, die ihm durchaus zugetan ist. Ein Traum? Wohl kaum, denn plötzlich flutet durch das Rückfenster des Taxis das warme Licht von São Paulo nebst dessen Kulisse. Nicht weniger „surreal“ muten die Produktionsbedingungen des Films an: Dirk Manthey und Ansgar Ahlers wollten ein Projekt mit Favella-Jugendlichen machen und reisten dazu mit Darsteller Semmler zum Dreh nach Brasilien. Vice versa luden sie den brasilianischen Jung-Regisseur Eder Augusto ein, die Kieler Szenen zu inszenieren. Gerade durch die überraschenden Schnitte zwischen den Taxifahrten an so ganz verschiedenen Orten entsteht der surreale Effekt und zeigt – nicht zuletzt passend zum Thema des die Augenweide begleitenden Symposiums „Heimatfilm“ – den jeweils fremden, weil befremdeten Blick auf die jeweils andere Stadt. Raffiniert auch die Dialoge zwischen Fahrer und Fahrgästen, die in der jeweils anderen Sprache untertitelt sind und so die „fremde Nähe“ oder auch „nahe Fremde“ humoristisch wenden. Mancher Lacher über so gewitzte Inszenierung war dem Film beim Kurzfilmabend gewiss.
Eine eigentlich ganz gewöhnliche Reportage ist von der Form her „5 Meter unter Holtenau“ von Markus Brüggemann, entstanden im Rahmen des Studiums am Lehrstuhl Geomedien der Universität Kiel. Doch ihr Thema ist umso skurriler, wenn nicht auch schon surreal. Der Kieler Michael Schmelter hat im Rahmen seiner Diplomarbeit als Ingenieur für Schiffbau- und Meerestechnik ein zweisitziges Mini-U-Boot gebaut. In Holtenau haben er und seine Frau Sonja eine alte Seebadeanstalt als Hafen für das U-Boot gekauft und bieten von dort aus Tauchfahrten in der Kieler Förde an. Mit oft (selbst-) ironischem Blick zeigt der Film dieses seltsame Unterfangen über und unter Wasser. So ist aus den Plexiglaskuppeln des U-Bootes unter Wasser kaum etwas zu sehen, entweder weil das trübe Fördewasser kaum zwei Meter Sichtweite gewährt, oder weil die Fenster beschlagen sind. Ein „Blindflug“ in andere Welten – auch die des Erbauers des U-Boots, ein sympathischer Nerd, der sich einen Traum verwirklichte. Kleines Manko: der Off-Kommentar, der die Bildkraft des Films mindert, indem er ihr offenbar nicht traut.
Den Bildern nicht trauen – das ist in den experimentellen Videoarbeiten Matthias Meyers roter Faden und Programm. Bei der Augenweide 2006 ließ er eigentlich fest gemauerte Hochhäuser tanzen, in „Sub Dub – The Black Museum“ zeigt er uns jetzt ein an Magrittes Surrealismen erinnerndes und Malewitschs die bildende Kunst einst revolutionierendes „Schwarzes Quadrat“ zitierendes „Ausstellungstraum(a)“. In Material aus Nicolas Philiberts Dokumentarfilm „La Ville Louvre“ über die Neugestaltung des berühmten Pariser Museums hat Meyer sämtliche gezeigten Gemälde geschwärzt. Im ersten Moment mag das als Spielerei erscheinen, doch entwickelt der Kurzfilm nicht zuletzt durch den unterlegten Ambient-Dub-Groove des Hamburger Quartetts Halma eine Art magischen Realismus mit durchaus auch albtraumhaften Elementen. Dass alle Bilder einheitlich schwarz sind, ist einerseits Ausdruck des Zweifels am Bild als solchem im Sinne einer grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Erwägung und Kritik. Andererseits evoziert der Film eine vibrierende Vanitas-Stimmung, wenn die Aktionen der Ausstellungs-Gestalter, Restauratoren, ja selbst des Blätterers im Katalog, wo auch alle Bilder geschwärzt sind, wie Sisyphos-Arbeiten an einem längst Verschwundenen erscheinen, die dennoch mit damit schon grotesk wirkender Präzision ausgeführt werden. Meyers Videoarbeit ist ein Epitaph, ein Requiem auf alles Bildnerische.


Schwarze Bilder eines Epitaphs: Matthias Meyers „Black Museum“
Auch Kai Zimmer bedient sich in „D 06“ solcher verfremdenden Mittel, die die fremden Komponenten des Nahe(liegende)n ausloten. Die Reihung von Snapshots der Deutschland-Fahnen, die im Fußballweltmeisterschafts-Sommer 06 von Autos, Balkonen und als Gardinen in Fenstern wehten, erscheint zunächst ganz unspektakulär. Zimmer unterlegt den Aufnahmen aber einen auf die Filmlänge von 90 Sekunden gedehnten Jubelschrei bei einem entscheidenden Torschuss der deutschen Nationalmannschaft im Viertelfinale. Einfach, doch auch platt wäre es gewesen, Zimmer hätte damit eine nachfragende Opposition gegen den damaligen „nationalen Taumel“ setzen wollen. So aber entsteht in wenigen Einstellungen ein Stimmungsbild einer Nation als gedehnter Augenblick der Geschichte. Das Surreale der Anmutung wird plötzlich wieder ganz real zu einem Dokument, das nicht kommentiert, sondern – auch hier in einem Epitaph – aufzeichnet. Und schon wieder klingelt es uns, die wir „alles hängt mit allem“-Zusammenhänge suchen, in den Ohren und Augen: Heimat, das ist das Verständnis für unsere Fremde darin.


Die nahe Fremde: Kai Zimmers „D 06“
Manchmal ist sie auch das Kino als Lebensraum. Ove Sander gelingt mit seiner 5-Minuten-Dokumentation „Hattenhorst“ ein bezauberndes Stillleben desselben. Hans Hattenhorst war Filmvorführer auf der Nordseeinsel Juist. Kurz vor den Dreharbeiten verstarb er und so zeigt Sander ein leeres Kino im verbliebenen Stil der 50er und einen Vorführerraum, in dem sich nur noch Filmspulen bewegen. Hattenhorst spricht aus dem Off, Recherchematerial, das Sander nur als Ton aufgenommen hat. Ein Vermächtnis einer vergangenen Kultur, eines Menschen, und eine Hommage an das Kino als Ort der Träume, der realen wie der surrealen. Mit der produktionsästhetischen Logik Schwarzweiß und 35 mm. Filmbilder, die durch ihre Schlichtheit berücken und damit eine ganze Epoche belichten. Noch ein Requiem an den Traum ...


Das Kino als Stillleben: „Hattenhorst“
... der ja gerade im Film, das ist dessen kunstmächtige Stärke, real werden kann. Oder eben nicht. Oder doch? „The Dead Meat“ von Philipp Scholz bedient die Muster von Surrealität, Horror- wie Fantasyfilm auf eigensinnig spannende Weise. Ein mehrfachen Frauenmordes überführter Delinquent träumt während seiner Hinrichtung durch die Giftspritze seine Ermordung vor seiner Hinrichtung. Hä ...? Doch, ja, das Kino ermöglicht solche Träume des Traums, kann daraus Funken für Geschichten schlagen. „Wir wollten einen doppelbödigen Horrorfilm machen“, sagt Scholz im Interview. Dass er in seinen Filmbau gleich vier Stockwerke möglicher und gewollter Verwechslung von real und surreal eingezogen hat, inklusive dies bebildernder und angenehmen Schwindel erregender Kamerafahrten, inklusive auch eines schwarzen Rächers à la Don Giovannis Comtur (schauspielerisch wie stimmlich groß: Lutz Mackensy), wirkt stellenweise etwas überinszeniert. Wenn Sequenzen plötzlich auf die Pupille des vermeintlich sie Sehenden zusammenschnurren oder aus ihnen „explodieren“, ist immer Vorsicht geboten. Hier schwächelt die Geschichte oder verstrickt sich in zwar gewollte, aber dann doch undurchsichtige Ungereimtheiten. Aber gerade das darf der surreale Film. Er darf auch wirr träumen. Entspannend auch, dass wir hier nicht noch ein Plädoyer gegen die Todesstrafe, sondern eines für das Verständnis der manchmal todes- und schuldsehnsüchtigen Träume sehen.
Womit wir nochmal bei den kurzen Spielfilmen des Programms sind. Zwei geradezu Antagonisten sind da zu nennen: Toke Konstantin Hebbelns „Hilda und Karl“ tritt gegen „Zwei Drittel“ von Isabelle Chaplot, Sebastian Joos und Mona Winkel an und zeigt zwei grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen an den – nennen wir’s mal provokant so – „Mainstream“. Hebbeln beweist in „Hilda und Karl“ die sowohl erzählerische wie handwerkliche Souveränität seines Filmschaffens. Wenn die Hilfsarbeiterin Hilda sich dem nicht minder schüchternen Vorarbeiter Karl annähert und am Ende eine wahrscheinlich sensationslose aber immerhin Liebe sich ankündigt, zeigt uns Hebbeln eine Romeo-und-Juliade auf Alltagsarbeitsniveau, die weniger von der Geschichte als ihren Schauspielern lebt. Und das ist gut so. Hier sind Menschen am Werk, nah am Leben, weil sie davon so entfernte sind. Ein Film, der Hoffnung macht, dass Träume ab und an mal wirklich werden. Dass also das Reale sich zuweilen mal einen Traum des Surrealen borgt.


Zwei Fremde auf Annäherungskurs: „Hilda und Karl“
Auch in „Zwei Drittel“ (Preisträger beim Festival der LAG Jugend und Film auf dem Scheersberg 2006) geht es um einen Traum, dem die Realität nicht standhalten kann. Kann man/frau eine Dreiecksbeziehung nicht nur aushalten, sondern auch leben? Zwischen Sarah, Jan und Simon bahnt sich solche in der sommerlichen Traumwelt eines Wochenendaufenthalts am See an.


Sprung in „stille Wasser sind tief“ des Beziehungsdreicks „Zwei Drittel“
Eigentlich eine schöne, erzählenswerte Geschichte. Allein, sie bleibt auf „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Niveau hängen, sowohl vom Drehbuch wie den Dialogen her. Selbst am Ende, wo die Protagonisten, nachdem doch eigentlich nur eine Trennung in zwei Drittel Paare möglich schien, dann doch unvermutet zum Trio vereint in den Sonnenuntergang reiten. Bringt man in Anschlag, dass das den Film produzierende Trio nicht minder Schwierigkeiten hatte, die Marschrichtung zwischen Coming-of-Age, Fantasy und Science Fiction „mit Dali-haft zerfließenden Uhren“ festzulegen, wie Mona Winkel im Interview gesteht, wundert es nicht, dass der Film auch nach heftigen Schnitten nicht auf einen Punkt kommt, den man hinter ihn setzen könnte. Aber vielleicht ist solche Schwebe ja auch Chance für das Surreale mitten im Realen, ein Komma für das Dazwischen ... (jm)

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