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15. Juli 2023 - 13:56

15. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2011

Alles eine Frage der Zeit

„Time’s Up“ (Marie-Catherine Theiler und Jan Peters, D 2009)


Wer Filme macht, arbeitet not- wie kunstgedrungen mit dem Medium Zeit – und muss sie sich dazu nicht zuletzt akribisch einteilen. Das Hamburger Filmerpaar Marie-Catherine Theiler und Jan Peters hat darüber, über die Zeit im Film, im Alltag und als solche, anlässlich der Schwangerschaft mit dem ersten Kind beider eine wirbelwindige Experimental-Doku über die Zeit und ihren seltsamen Lauf gedreht – im Rahmen des deutsch-tschechischen Projekts „Breathless – Dominance of the Moment“ (www.breathless-films.com).

Zeit ist relativ, wusste schon Einstein. Freilich nur, wenn man sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegt, ist der Effekt der Zeitdillatation (Dehnung der Zeit in schnell bewegten Bezugssystemen im Vergleich zu einem ruhenden Bezugssystem) von Relevanz, wie dem Paar, das anlässlich der Geburt des ersten Kindes an der Entschleunigung seines Alltags arbeitet, ein Physiker erklärt. Nicht tauglich also, die Zeit etwas zu dehnen, um mehr Action in sie zu packen, eher ein hübsches wie – „na klar, logisches“ – Bonmot zur durchaus philosophischen Betrachtung von etwas, das uns Stress macht, weil es so schnell vergeht und daher ein knappes Gut ist. „Time’s Up“ zeigt uns in 15 Minuten, was Zeit sein könnte, wenn man mehr davon hätte, indem man zu wenig davon hat.

Ihre Dauer, ihre Geschwindigkeit ist vor allem eine Frage der Wahrnehmung. So scheint sich Zeit zu dehnen und Platz zu machen für den berühmten vor dem inneren Auge ablaufenden „Lebensfilm“, wenn sich etwas wie ein Unfall in Sekundenbruchteilen ereignet. Unabhängig von einander hatten Theiler und Peters einen Autounfall und beobachteten dabei diese weniger physikalische als wahrnehmungspsychologische Zeitdehnung. Die freilich lehrt, dass sich der Zeitlauf im Momenthaften verlangsamen kann, während Zeit umso schneller zu verrinnen scheint, je genauer man ihren Fluss zu kanalisieren versucht. Jans akribisch geführte „To-do“-Listen etwa hinken dem „Done“ stets hinterher. Darum ordnet er sie jetzt nicht mehr zeitlich, sondern thematisch. Freilich mit geringem Erfolg, abgesehen von der Entdeckung der (Lebens-) Qualitäten eines vorübergehend „zeitlosen“ „Hangover-Days“.

Doch je schneller geschnitten und verwirbelt uns die Filmbilder der beiden den Kopf verdrehen, umso deutlicher wird, dass die Frage nach dem Lauf der Zeit sich je nach Blick- und Schnittwinkel anders beantwortet. Als sei sie ohnehin nichts, was eine Geschwindigkeit hat, vielmehr etwas, dem wir ein Tempo zuschreiben, indem wir – im Film – mit ihr als veränderbarem Parameter arbeiten. „Time’s Up“ ist insofern nicht zuletzt ein Studie über ein Zeitmedium wie Film selbst – mit den zeitlichen Mitteln dieses Mediums.

Erkenntnisphilosophisch eröffnet sich da ein ganzer Kosmos. Und eine Hoffnung, wenn am Ende in Zeitlupe der glückhafte Schmerzensschrei Marie-Catherines bei der Geburt ihres Kindes gezeigt wird: Geburtsmoment eines Wesens, das ab da noch mehr Zeit vor sich hat, als uns bleibt – und sie vielleicht besser zu begreifen und damit zu nutzen weiß. (jm)

„Time’s Up“, D 2009, 15 Min., Regie und Kamera: Marie-Catherine Theiler und Jan Peters, Schnitt: Sandra Trostel, Musik und Soundeffekte: Pit Przygodda, Produktion: Stefan Kloos, Website: www.24fs.org.