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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Ich ist Wir, ist eine Insel  

„Alle Anderen“ (D 2009, Maren Ade)  

Chris (Lars Eidinger) und Gitti (Birgit Minichmayr) sind eigentlich ein schönes Paar. Er: ein junger Architekt auf dem Sprung zu einer nicht unerheblichen Karriere, dennoch von Selbstzweifeln zerfressen – wenn auch nur als Pose, wie es sich in Künstlerkreisen gehört. Sie: eine PR-Managerin eines Major Plattenlabels und mit allen Wassern der in der Branche üblichen (Selbst-) Ironie gewaschen. Ein postmodernes und auch postromantisches Künstlerpaar, wie man wohl manche treffen kann (gerade auch auf der Berlinale), vertraut mit den Vademecums einer guten Beziehung: Humor, gegenseitige Unabhängigkeit und der gemeinsame Vorbehalt, wenn nicht Hass auf das ganz normale Spießerleben „aller anderen“. Der Urlaub auf der Insel Sardinien in der Ferienvilla von Chris’ wohlhabenden Eltern könnte nicht schöner verlaufen, als Maren Ade ihn in „Alle Anderen“ zu Beginn zeigt.



Noch funktioniert das (selbst-) ironische Liebesspiel (Fotos: Berlinale)
Doch wie man weiß, war Liebe irgendwie immer schwierig – und ist es zunehmend geworden, wenn man wie die beiden alles darüber weiß, was falsch gemacht werden kann in einer Beziehungskiste. Weder Gitti, noch Chris wollen etwas falsch machen, und darunter leidet ihre Liebe. Wer alles kontrollieren will, auch den konventionalisierten Kontrollverlust im Rauschhaften des Sex, wird die Liebe verlieren. Dies scheint die Botschaft von Maren Ades zweitem Feature-Film nach „Der Wald vor lauter Bäumen“ zu sein. Schon in letzterem hatte sie ihre Hauptfigur in ein undurchdringliches Dickicht aus Selbstbespiegelung und dadurch Selbstvergessenheit geführt. Nun ist ein Paar auf der Insel unterwegs, die schon das Ich ist, noch unentrinnbarer das Wir.

Zu Chris’ und Gittis Liebesspiel gehören die bewusst „albernen“ Dialoge, das Spiel mit den gegenseitig anerkannten Rollen, die sie in ihrer Beziehung einnehmen. Dieses wenn auch labile Gleichgewicht gerät aus dem Lot, als ein zweites Paar ins zweisame Spiel kommt: Hans (Hans-Jochen Wagner) und Sana (Nicole Marischka). Chris hält wenig von Hans, der ihm joviale Ratschläge gibt, wie er „am Markt“ Erfolg haben könnte. Hans wiederum ist eifersüchtig auf den Künstlerkollegen und dessen nahenden Erfolg. Seine Freundin Sana ist gerade schwanger, ein „bürgerliches“ Leben kündigt sich damit an, der reine Horror für Chris und Gitti, unausgesprochen aber auch für Hans. Bei einer Grill-Party der beiden Paare prallen die paarigen Lebensentwürfe, die so verschieden gar nicht sind, harsch aufeinander.

Dennoch bleibt vieles unter der Oberfläche, unter der es freilich brodelt, sowohl zwischen den Paaren als auch innerhalb der Beziehungen. Ade inszeniert das als psychologisches Kammerspiel, das imgrunde eher aufs Theater als die Leinwand gehört. Dass die Entwicklung der Figuren dabei immer wieder auf Abwege gerät, wenn sie nicht zum Stillstand kommt – und das über oft quälende zwei Filmstunden –, könnte man dem Film als Schwäche ankreiden. Je mehr man sich jedoch als Zuschauer darauf einlässt, sich mitquälen lässt, erscheint das Kammerspiel vor der Inselkulisse, also in einem vom Alltag abgetrennten Raum (das verlorene Paradies von Adam und Eva darf man gerne mitdenken), zunehmend spannend. Die Dia- und Tetraloge gewinnen gerade in ihrer Sinnentleertheit der beiderseits wahrgenommenen Posen, die der jeweils andere einnimmt, an Dynamik. Die Längen, die sich der Film zu Beginn gönnt, beschleunigen sich, obwohl äußerlich kaum etwas passiert – außer auf den Inseln des Ichs und des Wirs.



Dann droht die Trennung ...
Ein Psychodrama ganz ohne Dramatik, denn Drama ist das letzte, was die Figuren wollen – und umso mehr ersehnen als Beweis für die Intensität ihrer kontrollierten Gefühle. Einzig Gitti in ihrer gespielten Naivität ruft dem Kaiser Liebe nach, dass er doch eigentlich nackt sei. Sie ist der Katalysator für eine Veränderung, die zu einem zehntel Happy End führt. Gitti will Chris verlassen und inszeniert diese Trennung nach allen Regeln der Kunst scheiternder Beziehungen. Vor der Abblende jedoch steht jener Kuss zwischen Chris und Gitti, der wieder so zart ist, wie es der erste womöglich war. Eine kleine Brücke zwischen den Inseln der Iche, die brüchig bleibt und vielleicht gerade dadurch überdauern könnte.

Maren Ade und ihrem in der Kunst der Andeutung beeindruckenden Schauspielerquartett ist ein desillusionierendes Porträt moderner Beziehungen gelungen. Liebe: ein bloßes Konstrukt. Wenn aber beide das anerkennen, wird es für flüchtige, sinnliche Momente fast wieder romantisch. Insofern ein sehr sanfter Liebesfilm, betörend, weil er so ehrlich den Finger auf die Wunden legt, für die allein wir einander lieben, weil wir auf unseren Ich-Inseln es waren, die uns sie zufügten. (jm)
„Alle Anderen“, D 2009, 119 Min., 35mm. Buch, Regie: Maren Ade, Kamera: Bernhard Keller, Schnitt: Heike Parplies. Mit: Birgit Minichmayr, Lars Eidinger, Hans-Jochen Wagner, Nicole Marischka