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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Lawine verschütteter Gefühle

„Der Architekt“ (Ina Weisse, Deutschland 2009)

Ina Weisses Spielfilm-Erstling „Der Architekt“ ist die Geschichte einer Tragödie. Traurige Gefühle, enttäuschtes Leben einer nach außen hin heilen Familie implodieren aufs Heftigste nach innen in kalt-kahler Winterlandschaft und lassen die Figuren ohnmächtig und nicht nur seelisch gezeichnet zurück. Der Film scheint mit Klischees zu flirten, verliert sich bisweilen in symbolischer Tändelei und schafft doch immer wieder beeindruckende Momente von Wahrhaftigkeit, was vor allem dem Schauspieler-Ensemble zu danken ist, das sich äußerst glaubwürdig in seine Rollen findet. Allen voran Josef Bierbichler in der Titelrolle, der seine Figur des Georg Winters kräftig aber nie überzeichnet spielt, sondern sich eher auf Ungesagtes einlässt, das man sehen kann und deshalb nicht zu hören braucht.

Georg Winter (Josef Bierbichler), erfolgreicher und preisgekrönter Architekt, fährt mit seiner Familie von Hamburg in die heimatlichen Alpen, um der Beerdigung seiner Mutter beizuwohnen, zu der er schon seit etlichen Jahren so gut wie keinen Kontakt mehr gehabt hat. Seine Ehe scheint schon seit Jahren von schleichender Entfremdung bedroht, die sich in gegenseitigem Unverständnis der Partner, sexueller Frustration seiner Frau Eva (Hilde von Mieghem) und inzestuösen Zärtlichkeiten zwischen ihm und seiner Tochter (Sandra Hüller) äußert. Zum ebenfalls schon halb erwachsenen Sohn hat er das typisch gestörte Verhältnis eines selbstherrlichen Patriarchen, gegenüber dem sein Junior (Matthias Schweighöfer) fast wie selbstverständlich nur noch die Rolle des Versagers spielen kann, was im Film aber mehr behauptet als gezeigt wird.

Das alles und auch der Fortgang der Handlung in einem durch eine Lawine zeitweilig von der übrigen Umwelt abgeschnittenen Tiroler Bergdorf lässt durch die klischeeverdächtige Anlage des Plots viele Fallstricke zu, die doch in den meisten Fällen von den guten Schauspielern glaubhaft umspielt werden. Auch setzen Drehbuch und Regie dann meist eher auf die leisen Töne, die verstohlenen Blicke, mit denen das Unglück drohend und unabwendbar heraufschleicht und die gesamte Familie zerstört zurücklässt.



„Eingeschneit“ in letztlich verheerenden Gefühlen: Josef Bierbichler als „Der Architekt“
Schon ziemlich bald wird dem Zuschauer klar, dass die Gründe für Winters Sträuben, gemeinsam mit seiner Familie in die verschneite Heimat zu fahren, mit der ungeklärten Beziehung zu seiner alte Freundin Hannah (Sophie Rois) und ihrem halbwüchsigen Sohn zu tun haben muss, die ihn vom Tod seiner Mutter benachrichtigt hatte, der er vor Ort aber, wenn nur irgendwie möglich, aus dem Weg geht. Als ihm dann eröffnet wird, dass er von seiner Mutter enterbt worden ist und statt seiner Hannahs Sohn das Elternhaus erben soll, scheint alles klar. Am Morgen nach der Beerdigung möchte er quasi fluchtartig die Heimreise antreten, kann aber mit seiner Familie den Ort wegen besagter Lawine nicht verlassenen. So muss er sich und mit ihm seine Familie dem Schicksal stellen. Was bleibt, ist Kälte und Verzweiflung. Und ein beeindruckendes Debüt einer jungen Regisseurin. (Helmut Schulzeck)
„Der Architekt“, Deutschland 2008, 93 Min. Regie: Ina Weisse, Buch: Ina Weisse, Daphne Charizani, Kamera: Carl-F. Koschnick, Schnitt: Andreas Wodraschke, Musik: Annette Focks, Darsteller: Josef Bierbichler, Hilde Van Mieghem, Matthias Schweighöfer, Sandra Hüller, Sophie Rois. Gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, der Filmförderungsanstalt Berlin (FFA), dem Deutscher Filmförderfonds Berlin (DFFF) und Cine Tirol.
Der Film läuft Do, 23.4. - So, 26.4., jeweils 20.30 Uhr und am Mi, 29.4., 18.30 Uhr im Kommunalen Kino Kiel in der Pumpe und Do, 7.5. - Mi, 13.5., 20.00 Uhr und Do, 14.5. - Fr, 15.5., jeweils 17.45 Uhr im Kieler Traum-Kino.