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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Wie ein Fisch auf dem Land

„Endstation der Sehnsüchte“ (Deutschland 2009, Sung-Hyung Cho)

In den Sechziger und zu Beginn der Siebziger Jahre kamen viele junge Südkoreaner in die Bundesrepublik, um meist als Krankenschwestern oder in Bergwerken zu arbeiten. Ihren Lohn schickten sie zurück in ihre Heimat Korea, um ihre Familie zu unterstützen. Sie leisteten damit einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlich Aufschwung des Landes. Zum Dank schuf das Land Jahrzehnte später für die verdienten Gastarbeiter eine Seniorensiedlung, das „deutsche Dorf“, in Dogil Maeul an der südostkoreanischen Küste. Etliche der koreanischen Gastarbeiterinnen gründeten in der Bundesrepublik Familien mit deutschen Männern. Unter den Heimkehrern waren auch drei deutsch-koreanische Paare, die als Rentner in das „deutsche Dorf“ zogen. Der Dokumentarfilm „Endstation der Sehnsüchte“ der Koreanerin Sung-Hyung Cho portraitiert die drei koreanische Frauen Young-Sook, Chun-Ja und Woo-Za und ihre deutschen Männer Armin, Willi und Ludwig. Anhand der ungewöhnlichen Biographien der drei koreanischen Frauen und ihrer deutschen Ehemänner spürt der Film dem Begriff der Heimat nach und betrachtet das Fremd-Sein aus einer frischen Perspektive.

Für die koreanischen Touristen ist das deutsche Dorf ein Faszinosum, die typische süddeutsche Bauweise der großzügigen Einfamilienhäusern, weiß, mit roten Schindeldächern, schwarzen Fachwerkbalken und Vorgarten samt Lattenzaun. Deshalb staut sich an Feiertagen schon mal der Verkehr in der Siedlung, bis kein Durchkommen mehr ist. Die Touristen müssen dann auch aus dem Garten und vom Balkon vertrieben werden. Es ist ihnen kaum zu verdenken, ist man doch selbst erstaunt, ein Stück deutsche Eigenheim-Idylle in Hanglage mit Blick auf eine Bucht am Pazifik zu entdecken. Doch keine Museumsführer empfangen das Filmteam, sondern Willi, Armin und Ludwig, drei deutsche Männer im besten Rentenalter. Während Willi den Hund ausführt und die Nachmittagssonne auf einem Stuhl vorm Haus genießt, bis ihn seine Frau zum grünen Tee ruft, führt Armin vor, wie man das Dach vernünftig dichtet. Mit Silikon nämlich, da tropft nichts mehr durch. Die deutsche Betonmischmaschine lief auch schon beim Bau des ersten Hauses, die hat man lieber mitgebracht. Ein Ersatzmotor liegt parat. Auch ansonsten greift man im Dorf gerne auf deutsche Handwerksqualität zurück, Armin und seine Frau drehen Würste und backen Brötchen. Doch statt Kaffe gibt’s zum Kuchen grünen Tee. Und wenn Gäste kommen, sitzt man vor der dunklen Eichen-Schrankwand und dem Polstersofa im Lotus-Sitz auf dem Fußboden.



In der neuen Heimat Korea: Woo-Za & Ludwig Strauss-Kim (Foto:Berlinale)
Die jungen Koreanerinnen haben damals in der Bundesrepublik schnell erkannt, dass sie nur eine Chance auf ein soziales Leben in der Fremde haben, wenn sie sich die deutsche Sprache aneignen. Den Männer fällt es im fortgeschrittenen Alter ungleich schwerer, die koreanische Sprache zu erlernen, die, wie Regisseurin Sung-Hyung Cho bei der Premiere anmerkte, auch deutlich schwieriger zu lernen sei. Mit Händen und Füßen, Brocken von Deutsch, Englisch und Koreanisch fachsimpelt Ludwig mit dem koreanischen Schwager übers Angeln. Soweit es eben geht. Willi hat zumindest die Vokabeln für Nahrungsmittel und Getränke parat und grüßt die Nachbarn beim Gassi-Gehen mit dem Hund auf Koreanisch. Das anerkennt auch der Gemeindevorsteher, doch er mahnt auch: die Deutschen müssten schon die Sprache lernen, damit sie sich integrieren können. Leitkultur aus koreanischer Perspektive. Aber am Wollen der drei Männer scheitert die Integration in die koreanische Gesellschaft nicht, Willi mischt z. B. als einziger Mann in der traditionellen Tanzgruppe seiner Frau mit. Natürlich stechen die drei Männer überall heraus. Der hoch gewachsene Ludwig kommt kaum durch die Löcher in der Schwitzhütte und findet die Rituale im buddhistischen Tempel auch ein bisschen übertrieben. Er macht aber trotzdem mit, „kein Mensch weint wegen der Religion.“ Seine Gelassenheit gepaart mit einer scharfen Zunge sorgt oft für Lacher. Doch mit leichten Sarkasmus lässt sich auch gut überdecken, dass man in der Fremde wie ein Fisch auf dem Land ist. Ohne ihre selbstbewussten Frauen wären die Männer denn auch verloren. Unumwunden gibt Armin zu, „die Männer denken, die Frauen lenken. Und das dann meist auf Koreanisch.“

Erneut beobachtet Regisseurin Sung-Hyung Cho das Zusammenprallen unterschiedlicher Kulturen. In ihrer erfolgreichen Dokumentation „Full Metal Village“ trafen die Bewohner der ländlichen, schleswig-holsteinischen Idylle Wacken auf die alljährlich zum Open-Air-Festival anreisenden Heavy-Metal-Fans aus aller Welt. In „Home after Home“, so der internationale Titel von „Endstation der Sehnsüchte“, sind es nun Deutsche und Koreaner, die sich in einer Ehegemeinschaft und in einer Dorfgemeinschaft arrangieren. Nach einer kurzen historischen Einführung verlässt sich die Regisseurin im wesentlichen auf die Beobachtung ihrer Protagonisten. Bei der Auswahl derselben beweist Sung-Hyung Cho wieder ein glückliches Händchen. Manche ihrer Kommentare und die aus ihrer Fremdheit resultierenden, komischen Situationen sorgen für den Humor, der auch schon „Full Metal Village“ enormen Erfolg bescherte. Wenige Interviews liefern die Beweggründe der drei Frauen nach, das „Wagnis Deutschland“ und die Ehen mit ihren deutschen Männern einzugehen. Die Männer wiederum lockte das Angebot für die verdienten Pensionäre aus Korea, der günstige Baugrund und die unvergleichliche Lage an der Küste mit den Bergen im Rücken, „das findet man in Deutschland nirgendwo“. Ein Schuss Abenteuerlust war sicher auch dabei, denn in der Fremde noch einmal ganz neu anzufangen, braucht Mut. Und Vertrauen. Und Liebe. Auch das ist „Endstation der Sehnsüchte“, ein Film über die Kraft der Liebe und vertrauensvolle, gleichberechtigte Partnerschaften über alle trennenden kulturellen Grenzen hinweg. (dakro)

„Endstation der Sehnsüchte“, D, 2009, 97 min, HDCAM. Buch, Regie: Sung-Hyung Cho, Kamera: Ralph Netzer, Axel Schneppat, Schnitt: Sung-Hyung Cho, Produktion: Flying Moon Production mit ZDF/3Sat. Gefördert u.a. von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein