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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Die Geister, die sie rief ...

„Ghosted“ (D/TAIWAN 2009, Monika Treut)

Als „einen Film über die Liebe, den Tod und kulturelle Differenz“ bezeichnet Monika Treut ihren neuesten Spielfilm „Ghosted“ – das ist zwar treffend, aber unvollständig. Denn sowohl die Liebe, von der hier erzählt wird, ist ungewöhnlich, auch der Tod ist kein gewöhnlicher, denn eine tote Geliebte kehrt als quicklebendige Doppelgängerin wieder, und all das wird von den zwei Kulturen in Hamburg und Taipei ganz unterschiedlich gesehen, gefühlt und erahnt – und in einem komplexen Geflecht aus Vor- und Rückblenden sowie Träumen erzählt.

Als die Taiwanesin Ai-Ling (Huan-Ru Ke) nach Hamburg kommt, um im chinesischen Restaurant ihres Onkels auf Spurensuche nach ihrem Vater zu gehen, verliebt sie sich in die Hamburger Künstlerin Sophie Schmitt (Inga Busch). Sophie ist so fasziniert von Ai-Ling, dass sie einen Film über sie dreht. Doch dabei vergräbt sie sich derart in die Arbeit, dass die Liebe leidet und Ai-Ling bei einer flüchtigen Bekanntschaft in einer Lesben-Bar Trost sucht. Als die jedoch zudringlich wird, versucht Ai-Ling zu fliehen und läuft vor ein Auto. Sophie fühlt sich schuldig am Tod ihrer Freundin. Als sie in Taipei eine Video-Installation mit dem Filmmaterial über Ai-Ling vorstellt, heftet sich Mei-Li (Ting-Ting Hu), die sich als Journalistin ausgibt, an ihre Fersen. Sophie ist von ihr einerseits abgestoßen, andererseits geradezu magisch angezogen – nicht zuletzt wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit ihrer toten Freundin. Als Mei-Li ihr nach Hamburg nachreist, kommt es zu einer Affäre zwischen den beiden. Doch es stellt sich heraus, dass Mei-Li weder bei einer taiwanesischen Zeitung arbeitet, noch je eine Mei-Li von Taipei nach Hamburg gereist ist. Vielmehr hat eine „andere“ Mei-Li in Taipei seltsame Träume, in denen sie als Ai-Ling in Hamburg verunglückt ...


Motorradfahrt ins Glück mit einem Geist? – Inga Busch (l.) und Ting-Ting Hu (Fotos: Berlinale)
Eine seltsame „Geistergeschichte“, zu der Monika Treut bei ihren Recherchen für zwei Dokumentarfilme über den kulturellen Schmelztiegel Taiwan („Made in Taiwan“ und „Den Tigerfrauen wachsen Flügel“, 2005) angeregt wurde. In der chinesisch-taiwanesischen Kultur gelten die Toten als nicht tot, vor allem tote Frauen kehren wieder, um im Leben als Geister zu verwirklichen, was ihnen im wahren Leben verwährt war, namentlich auch nicht erfüllte Liebe. Einen ähnlichen Topos des Wieder- oder Doppelgängers gibt es seit der Romantik auch im westlichen Kulturkanon. Beides verschmilzt Treut in ihrer Geschichte. Spannend könnte daher auch die Rezeption der ersten deutsch-taiwanesischen Koproduktion in Taiwan sein.


Mei-Li, Ai-Ling oder welcher Geist? ... - Ting-Ting Hu als Traumwandlerin (Foto: Berlinale)
Doch zunächst muss der Film, der am 30.4.2009 in die deutschen (Programm-) Kinos kommt, das Publikum erobern, was ihm wegen der geschickten Verbindung von Romanze, Mystery und manchem Thriller-Element nicht schwer fallen dürfte. Auch nicht wegen der hervorragenden schauspielerischen Leistungen. Inga Busch spielt die innerlich zwischen Kunst und Leben zerrissene (ein weiterer Topos, den Treut leise und zwischen den Zeilen thematisiert – wohl nicht ganz ohne autobiografische Aspekte) und imgrunde menschenscheue Künstlerin mit einer Sparsamkeit, die beeindruckt. Ganze Gefühlswelten – und -abgründe – tun sich in einem Blick oder einem Beben der Lippen auf. Nicht minder einnehmend sind ihre taiwanesischen Kolleginnen, wenn sie das (westliche) Bild der hingegebenen asiatischen Frau ebenso bedienen wie das der lebenshungrigen femme fatal. Sie zeigen starke Frauen unter püppchenhafter Maske und dekonstruieren damit auch manche Männerfantasie von der devoten Asiatin. Vor allem das Lesbische dieser Liebesbeziehungen spielen sie als „ganz normale“ Liebe, also ohne jeden Gender-Zeigefinger, den man in früheren Filmen von Treut manchmal noch erahnte. Dass hier Frauen Frauen lieben, ist für die Geschichte zwar nicht unerheblich, wird aber auch nicht als Besonderheit herausgestellt.

Zudem gelingt Treut ein feinfühliges Porträt taiwanesischer Mentalitäten – gerade auch in den Nebenfiguren. So wird das seltsame Fleiß- und Aufopferungskonstrukt von Ai-Lings Onkel (Jack Kao) im Hamburger China-Restaurant ebenso gestreift wie die zwischen alter asiatischer Tradition und westlicher, manchmal leerer Emanzipation brüchig werdende Mutterrolle (Yi-Ching Lu als Ai-Lings Mutter). Mehr noch: Kulturelle Bindungen wie auch deren Aufweichung durch Wanderschaft kultureller Motive in einer globalisierten Welt wirken in „Ghosted“ wie jene Geister, die wir riefen, und die uns fortan verfolgen, herausfordern, in Abgründe stürzen, aber manchmal auch für Augenblicke beglücken, kurz: die uns nicht wieder loslassen. „Ghosted“ ist damit nicht nur ein Film über die großen alten Fragen von Liebe, Tod und Kultur, sondern auch eine Studie über Innenwelten, die es in einer Welt sich globalisierender Topoi zunehmend schwer haben, zu sich zu kommen und gleichzeitig außer sich zu geraten. (jm)
„Ghosted“, D/TAIWAN 2009, 89 Min., 35mm. Regie: Monika Treut, Buch: Astrid Ströher, Monika Treut, Kamera: Bernd Meiners, Schnitt: Renate Ober. Mit: Inga Busch, Huan-Ru Ke, Ting-Ting Hu, Jana Schulz, Marek Harloff, Jack Kao, Yi-Ching Lu. Gefördert u.a. von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein