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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Weiblich, ledig, 70

„Gitti“ (D 2008, Anna Deutsch)

Mehr als einmal gibt es Szenenapplaus während der Premiere von Anna Deutschs Dokumentarfilm „Gitti“ in der Reihe „Perspektive Deutsches Kino“. Noch mehr, als die „agile Alte“ nach dem Film auf die Bühne tritt. Die „Witwe“ ist einfach zu lustig auf ihrer kontaktanzeigenden Suche nach einem neuen Partner. „Ick bin 70, aber ick bin eben nicht so, ick wirke viel jünger“, diktiert sie der Anzeigenredaktion ins Telefon, denn sie ist Sternzeichen Skorpion, und ihr „Assistent“ (gemeint ist Aszendent) ist derselbe. Eine Jungfrau wäre gut als Partner für den Lebensabend der lustigen (und durchaus lüsternen) Alten, ein Löwe „wär’ mir zu arrogant“.



Gitti bewirbt sich in Anzeigen fürs Glück (Foto: Berlinale)
Nach vier Kindern, die sie erfolgreich großgezogen hat, und nach manchem „kein Glück mit Männern“ will die „weiblich, ledig, 70-Jährige“ nochmal richtig durchstarten. Anna Deutsch und ihr Kameramann Mark Dölling begleiten sie dabei – und die „Manfreds“, die auf Gittis Anzeige reagieren und bei ihr antichambrieren. Die Auswahl bleibt schwierig, wie Gitti mit ihren Freundinnen verhandelt. „Schlachtermeister, 90 Kilo“ kommt, weil „det is’ mir zu fett“, dabei ebensowenig in Frage wie „1,68 – det is’ mir zu kleen“, auch nicht „dieser 56-jährige Schwanz-Typ, der sich am Telefon gleich einen auf mich runter holen wollte – zu jung“, wie die Berlinerin unmissverständlich und in bezaubernd authentischem Dialekt kundtut. Und ob die Wessi-Männer „aufjeschlossener“ sind als ihre Ossi-Pendants, bleibt ein Streitpunkt unter den Likörschwestern.

Zwischen den Anrufen möglicher Verehrer auf ihre Kontaktanzeigen plaudert Gitti aus ihrem Leben. Wie gesagt, vier Kinder – Schneiderin hat sie gelernt, war dann aber als Verkäuferin „in allet von Bäckerei bis sonst wat“ tätig. Vor paar Jahren hatte sie „einen kleinen Herzinfarkt“, insofern hat sie auch nichts gegen Bewerber, die „bisschen krank sind – wenn se jesund leben“. Freimütig zieht sie ihre Medikamentensammlung aus dem Küchenschrank: „Wat jegen Blutdruck, wat fürs Herz, und manchmal auch ’ne kleene Beruhigungspille, wenn ick zu aufjeregt bin.“

So ‘ne Frau muss man einfach lieben – wären die Bewerber nur nicht immer wieder „Bullen“. Seit ihrer großen Liebe Eddi, der Polizeibeamter war, aber sich nicht halten ließ, häufen sich bei Gitti Rentner, die ehemals im Polizeidienst waren. Kaum sind sie auf dem Sofa, nachdem die Kamera fast peinlich berührt zeigte, wie Gitti sich vor dem Spiegel im Flur drehte („Seh’ ick jut aus? Ick gloobe schon“), klopft ihnen Gitti keck aufs Knie: „Und? Wat meinen Se’? Könnte det wat werden mit uns?“ Und klar ist sowieso: „Wat nützt mir eener, der nich’ mehr hochkommt?“

Gitti ist schrill, ohne Frage. Doch Anna Deutsch ließ sich in ihrem Porträt davon nicht nur beeindrucken. Sie zeigt eine Frau auf der Suche nach Glück. Und das kann man auch noch spät im Leben gewinnen. Rentenberechtigte Zuschauer im Publikum aufgemerkt: Gitti ist inzwischen vergeben. An einen rüstigen ehemaligen Polizisten? (jm)
„Gitti“, D 2008, 35 Min., Digi Beta. Buch, Regie: Anna Deutsch, Kamera: Mark Dölling, Schnitt: Anna Deutsch, Mark Dölling