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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Im Märchen versunken  

„Lulu & Jimi“ (D 2008, Oskar Roehler)

Der Dialog am Ende spricht für sich: Jimi: „What about your mother?“, Lulu: „She died. – Are you hungry?“ Das Happy End einer märchenhaften Boy-meets-Girl- und Gangster-Story, das man wie diese selbst nur als Parodie verstehen kann, denn die vielen erzählerisch hahnebüchenen Ver- und Entwicklungen in „Lulu & Jimi“ werden Oskar Roehler kaum aus Ungeschick oder Unvorsichtigkeit ins Drehbuch geraten sein. Nein, Roehler wollte nach eigenem Bekunden „eine mit Energie geladene Love- und Gangster-Story, in der alles grenzenlos ist“, schaffen. „Das ist Abenteuer, das ist Freiheit: Begriffe, die es heute eigentlich nur noch in der Werbung gibt, die aber im Kino zu Hause sein sollten. Ich hatte Sehnsucht nach dieser märchenhaften, verzauberten Welt, in der alles möglich ist, wo es Gut und Böse gibt, Gefahren und Verbrechen und wo der Tod an manchen Ecken lauert.“ Dafür zieht er sämtliche unmögliche Cinemascope-Register jenes „ganz großen Kinos“ und tappt genüsslich in alle selbst aufgestellten Fallen dessen, was in einem Drehbuch eigentlich gar nicht geht. Ein richtig schlechter Film also – aber weil mit Absicht so gemacht, schon wieder gut, zumindest amüsant.

Als Kulisse dienen die rock’n’rollenden 50er Jahre, ein Retro-Sujet, das nicht nur Roehlers Märchenträume perfekt bedient. Auf der Kirmes trifft Lulu (Jennifer Decker), Tochter aus hohem, aber verarmtem Hause, den mittellosen Schwarzen Jimi (Ray Fearon), der beim Auto-Scooter jobbt. Die beiden sind sofort unsterblich ineinander verliebt.



Love- und Road-Movie im Auto-Scooter: Lulu meets Jimi (Foto: Berlinale)
Problem: Lulu ist von ihrer geldgierigen Mama (herrlich als Hexe wie in „Hänsel und Gretel“: Katrin Sass) dem Fabrikantensohn Ernst (komödiantische Meisterleistung: Bastian Pastewka) versprochen, der das rotte Familienunternehmen mitgiftig wieder auf die Beine bringen könnte. Doch Lulu brennt mit Jimi durch – in ein Road-Movie. Nachdem sie schon ihren Gatten Carl (faltenreich entrückt: Rolf Zacher) mit ärztlicher Hilfe symbolisch wie buchstäblich entmannt hat, setzt Mama jetzt sowohl den ihr wollüstig ergebenen Hausdiener (Udo Kier) als auch den gedungenen Gangster Harry Hass (parodistische Paraderolle für Ulrich Thomsen) auf das Paar an, um seine Flucht zu vereiteln.



Die „Hexe“ und ihr Diener: Katrin Sass und Udo Kier (Foto: Berlinale)
Was auch gelingt. Lulu wird von einem bösen Arzt (Hans-Michael Rehberg) hypnotisiert und Jimi von Harry erschossen. Aber da alles ein Märchen ist, siegt die Liebe. Jimi wird aus dem Operationssaal des Himmels wieder auf die Erde entlassen, Lulu bringt ihr gemeinsames Kind trotz Abtreibungsversuchen auf die Welt, die Bösen kommen zu Tode, Jimi erkennt in Lulus Vater Carl seinen „Daddy Cool“ wieder, der ihn einst aus den düsteren Slums seiner Kindheit errettete, und am Ende gibt’s Friede, Freude, Eierkuchen zu essen. „Are you hungry?“ ...

Nach so einer überdrehten Story hungert der Zuschauer eher nicht. Zu sehr versinken Roehler und sein Plot im Märchenhaften, wo selbst der „Deus ex machina“ zuweilen bemüht werden muss, um die Geschichte aus ihrer schrillen Verirrung zu retten. Obwohl: Im Märchen ist eben alles möglich – und gerade dadurch so kitschig schön. Dass Kino alles darf, ist schließlich seine Verheißung (vielleicht auch die einzige Botschaft dieses Films), und die nimmt Roehler mit kindlicher bis kindischer Verspieltheit beim Wort. Er und sein Kameramann Wedigo von Schultzendorff rocken und rollen durch einen Bilderbogen, in dem nichts pastellen ist, sondern alles grell bunt. Darf man das? Gewiss doch! (gls)
„Lulu & Jimi“, D 2008, 95 Min., 35mm Cinemascope. Buch, Regie: Oskar Roehler, Kamera: Wedigo von Schultzendorff, Schnitt: Bettina Böhler. Mit: Jennifer Decker, Ray Fearon, Katrin Sass, Rolf Zacher, Udo Kier, Hans-Michael Rehberg, Bastian Pastewka, Ulrich Thomsen. Gefördert u.a. von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein