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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Das Ungefähre der Liebe

„Mitte Ende August“ (Deutschland 2009, Sebastian Schipper)

Am Anfang eine musikalische Aufforderung – „Come into My World“ - aber eine unausgesprochene. Denn Kylie Minogue bekommen wir nie zu hören, nur das äußerst rhythmische Intro. Thomas (Milan Peschel) und Hanna (Marie Bäumer) beginnen einen Tag. Tanzend, Zähne putzend, balgend. „Ich mag deinen Schwanz.“ „Was?“ „Ich mag deinen Schwanz.“ Alles scheint spielerisch leicht, ein bisschen albern. So kann man zusammenleben. Sie mögen sich, er ist vielleicht einen Tick zu kindisch, sie dafür etwas realistischer. Aber trotzdem ist er kein Traumtänzer und sie nicht staubtrocken.

„Mitte Ende August“ hat Sebastian Schipper seinen Film genannt, der lose auf Goethes „Wahlverwandschaften“ basiert. Sehr lose. Da wäre man von alleine vielleicht nicht drauf gekommen. Denn so spezifisch ist es nun wieder nicht, wenn ein vermeintlich stabiles Paar durch die Ankunft weiterer Menschen aus dem Gleichgewicht gerät. Aber so entfällt auch der immer ein wenig anstrengende und pedantische Vergleich zwischen Vorlage und Verfilmung, und es entsteht Raum für etwas vielleicht Ähnliches, aber völlig Eigenes. Also weg mit dem Goethe.


Ein Paar gerät aus dem Gleichgewicht: Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) (Foto: Berlinale)
Hanna und Thomas haben ein Landhaus gekauft und sich damit vielleicht ein bisschen übernommen. Sie genießen die Idee, Hausbesitzer zu sein, auf dem Land ausspannen zu können. Sie wollen allein mit sich sein. Aber schon bei der Frage, ob man eine Wand einreißen soll, ist die Einigkeit gefährdet und die Symbolik - ganz unaufdringlich - zur Stelle: Wo darf man draufkloppen und wo nicht, wenn nicht alles zusammenbrechen soll? Wann ist Funkenflug anregend und wann zerstörerisch? Wenn dann noch Dritte das heikle Haus entern, wackelt die Beziehung endgültig. Mit Friedrich, Thomas’ Bruder (André Hennicke), und Augustine, Hannas Patentochter (Anna Brüggemann), dringen Verdrängtes und Versuchung in die Zweisamkeit ein.

„Mitte Ende August“ – damit ist äußerst treffend das Ungefähre der Atmosphäre einer Liebe im Hochsommer beschrieben. Es ist heiß, alles ein wenig zu schrill, die Herzlichkeit, die Späße. Die Wahrnehmung ist getrübt. So sehen auch die impressionistischen Bilder aus, die distanziert und nah zugleich vieles in der Unschärfe belassen. Auch die Figurenpsychologie ist nicht straff choreographiert, es bleibt Raum für Zufälle und unerklärliches Verhalten, für Moduswechsel. Besonders schön ist das an Milan Peschel als Thomas zu sehen, der sich anfangs treiben lässt, dem man glaubt, beim Improvisieren zuzusehen, nur um ihn – unter sozialen Druck geraten – beim deutlichen Overacting zu ertappen. Aber das Spiel gilt nicht nur uns, sondern auch den anderen Figuren.

Auf Umwegen steuert der Film auf so etwas wie eine Katastrophe oder auch nur auf Klärung und Ehrlichkeit hin. Sebastian Schipper wirft ihm dabei keine Steine in den Weg. Das scheint, wenn man nicht wüsste, dass ein Film anders entsteht, die größte Leistung: Den Fluss des Geschehens nicht zu behindern. Gleichzeitig erinnert gelegentlich die Musik daran, dass es sich hier um eine Erzählung handelt. Schon der kleine musikalische Gag, der den Beginn markiert – das stumme „Come into My World“ – ist eine leise ironische Aufforderung, sich einer Geschichte hinzugeben. Später wird das sich emotional verdichtende Geschehen mit immer markigeren Gitarrenklängen kommentiert. Gegen Ende zertritt Thomas eine Gitarre. So fließen Erzähltes und Erzählung ineinander. (Sven Sonne)
„Mitte Ende August“, D 2009, 92 Min., 35 mm/Cinemascope. Buch, Regie: Sebastian Schipper, Kamera: Frank Blau, Schnitt: Horst Reiter. Mit: Marie Bäumer, Milan Peschel, André M. Hennicke, Anna Brüggemann, Gert Voss u.a. Gefördert u.a. von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein