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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Liebe kann man nicht berechnen

„Pink” (Deutschland 2009, Rudolf Thome)

Versteckt in der Berlinale-Special-Sektion hätte man Rudolf Thomes neuen Film „Pink“ glatt übersehen können. Das wäre aber schade gewesen, denn „Pink“ funkelt kräftig im momentan schillernden deutschen Film-Panoptikum. Rudolf Thome drehte bereits vor über 40 Jahren seinen ersten Langfilm, und „Rote Sonne“ (BRD 1969) ist ein unbestrittener Klassiker des Neuen Deutschen Films. Es ist erfreulich und beachtlich, dass die langen Jahre im Filmbetrieb und die über 30 Filme bei Thome keine abgeklärte Routine oder Anbiederung an einen breiten Publikumsgeschmack zeitigen. Ganz im Gegenteil, „Pink“ zieht die Pistole und knallt nach knapp einer Woche Berlinale erst einmal die eingefahrenen Erzählmuster und Figurencharakterisierungen über den Haufen. „Pink“ haut einem die Erwartungshaltungen wie einen nassen Waschlappen um die Ohren. „Pink“ ist naiv, aber nicht blöd. Gründe genug für Thome, sich schützend vor „Pink“ zu stellen und in seinem Online-Tagebuch auf www.moana.de zu warnen: „Wer sich nicht auf diese Art des Erzählens, der Löcher in der Erzählung und des Humors, der sich darin verbirgt, einlassen kann, hat keine Chance, den Film zu verstehen und zu lieben.“



Pink (Hannah Herzsprung) weiß, was sie will (Foto: Berlinale)
Kurz zur Story: Um Liebe geht es der von ihren Fans als junge Punk-Poetin gefeierten Pink weniger, als sie ihren drei treuen Verehrern, Carlo, Georg und Balthasar ankündigt, sie werde einen von ihnen zum Gatten erwählen. Vielmehr hat sie einfach keine Lust, allein zu sein. Kühl „berechnet“ sie die vorteilhaften Eigenschaften der drei sehr unterschiedlichen Männer. Carlo, der erfolgreiche Geschäftsmann, verbucht die meisten Punkte und wird geheiratet. Doch die Ehe ist schnell zu Ende, Carlo ist zu viel unterwegs, Pink zu viel allein. Sie verlässt ihn, er nimmt sich das Leben. Ehemann Nr. 2, Georg, ist smart, aber untreu. Er wird mit der Pistole verscheucht. Bleiben der bedächtige Balthasar und sein Bauernhof. Der Verlierer nach Punkten wird zum Gewinner des Herzens. Die beiden finden das Paradies auf Erden und zeugen Nachwuchs.

Die Mädchen in „Rote Sonne“ haben sich versprochen, jeden Lover spätestens nach 5 Tagen abzuknallen, um sich nicht zu verlieben. Pink hingegen - impulsiv und mit sich selbst beschäftigt - verliebt sich erst gar nicht, sondern "berechnet" sich den vermeintlich passenden Partner. Das muss ja schief gehen, Liebe ist eben keine Mathematik. Hannah Herzsprung verkörpert Pink in einer Mischung aus impulsiver Kindfrau und unergründlicher Femme Fatale. Sie haucht der Comic-Figur Pink Leben ein, aber ihr Spiel bleibt so zurückhaltend, dass man nicht in Versuchung kommt, Pink an psychologischen Realitäten außerhalb dieses Märchens zu messen.
Das Märchenhafte in „Pink“ wird durch die wunderbare Musik von Katia Tchemberdji unterstrichen. Mit nur einer Melodie und in wenigen Einsätzen schenkt Tchemberdji dem Film ein klingendes Herz.



Paradies auf dem Bauernhof: Pink und Balthasar (Cornelius Schwalm) (Foto: Berlinale)
Die übersichtliche Geschichte – rhythmisch wie ein Abzählreim, 1-2-3 du bist raus – lässt Raum für herrlich skurrile Dialoge, etwa die zwischen Pink und ihrer „Therapeutin für Weltschmerz und Lebensüberdruss“. Nachdem die Therapeutin ihr schon in der ersten Sitzung ein Liebesgeständnis macht, haben die beiden eine kurze Affäre. Am Morgen danach erklärt Pink aber, dass sie doch lieber einen Mann im Bett hätte. Nach Carlos’ Selbstmord würde sie es mal mit Georg versuchen wollen, der hätte ja die zweit meisten Punkte. „Mit dem war ich drei Jahre lang zusammen, den kann ich dir empfehlen“, kommentiert die Therapeutin trocken. Man darf die Szene vielleicht als Absage an eine Psychologisierung der Figur „Pink“ verstehen. Im Interview gefragt, was ihre Gedichte bedeuten, antwortet Pink nämlich schlicht: „Nichts“. Ähnlich ungern lässt sich Thome nach der Pressevorführung zu Deutungen hinreißen, möglicherweise weil er tatsächlich keine „verborgene“ Deutungsebene eingezogen hat. Die Figur der Kindfrau „Pink“ habe es ihm angetan, die hätte die „Naivität eines kleinen Mädchens, das gleichzeitig total souverän“ sei. So sollte man auch den Film betrachten und sich an der Abwesenheit von jeglichem Zynismus erfreuen. Rudolf Thome hat den Mut, sich mit einem reinem, kindlichem Herzen seinen Zuschauern zu offenbaren, in der Hoffnung, sie würden „Pink“ mit ebensolcher Offenheit begegnen. „Liebe kann man nicht berechnen“ ist seine Zusammenfassung der filmischen Botschaft. Die reicht ja auch für fabelhafte, ironische 80 Minuten. (dakro)

„Pink”, D 2009, 82 Min., 35 mm. Buch, Regie: Rudolf Thome, Kamera: Ute Freund, Schnitt: Dörte Völz-Mammarella, Musik: Katia Tchemberdji. Mit: Hannah Herzsprung, Guntram Brattia, Florian Panzner, Cornelius Schwalm