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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Wenn der Vater (nicht) mit dem Sohne ...

„Polar“ (D/CH 2008, Michael Koch)

„Übrigens, ich hab’ ’ne neue Frau“, sagt Henryk (André M. Hennicke), als er seinen Sohn nach langem beiderseits ausgesetztem Kontakt für einen Besuch vom Bahnhof abholt. Für Luis (Max Brauer) ist diese Eröffnung ein kleiner Schock, den er sich freilich nicht anmerken lässt. Schon an diesem Beginn seines Kurzfilms „Polar“ installiert Michael Koch eine Vater-Sohn-Beziehung, die von gegenseitigem Belauern und scheiterndem Dialog gezeichnet ist, eine Beziehung, die seit langem am Ende ist, geradezu abgeklärt, die aber jetzt erneut in den Ring geschickt wird. Wenn der Vater mit dem Sohne so einsilbig ist, kann man kaum auf eine Wende hoffen, auch wenn Pole sich manchmal anziehen.

Die nächste Überraschung für Luis folgt bei der Ankunft auf dem Resthof in den fortwährend von trübem Nebel durchzogenen Schweizer Alpen, wohin sich Henryk einsiedelnd zurückgezogen hat – vom Leben, vor allem aber seiner alten Familie. Der Vater hat nicht nur eine neue Frau, sondern mit ihr auch ein neues Kind. Mit beiden scheint er ebenso überfordert wie einst, als er Luis und dessen Mutter verließ. „Der haut gerne ab, wenn ihm was zu viel wird“, warnt Luis Sophie (Maria Kwiatkowsky), die neue Frau seines Vaters, kaum älter als Luis selbst und für ihn durchaus nicht unattraktiv. Doch trotz dieser schlechten Meinung von seinem Vater beginnt Luis den Kampf um ihn, um Anerkennung von ihm. Henryk allerdings will von den musikalischen Aktivitäten seines Sohnes, mit dem Wunsch, Profimusiker zu werden, kaum etwas wissen.



Pole, die sich anziehend abstoßen: Max Brauer (l.) und André M. Hennicke (Foto: Berlinale)
Überhaupt wird wenig gesprochen im vom Nebel ein wenig zu symbolisch umwaberten Einsiedelhof. Das ist einerseits schlüssig für die gestörte Vater-Sohn-Beziehung, andererseits ermöglicht es Koch und Kameramann Bernhard Keller, der das Vater-Sohn-Paar oft maximal entfernt kadriert, diese mit hoher Bildintensität zu entwickeln und mit einer Spannung aufzuladen, die nicht nur für die Figuren zunehmend explosiv wird, auch für den Zuschauer. Fast erlösend – wiederum für Figuren wie Zuschauer – wirkt daher die Rauferei zwischen Vater und Sohn, die Luis provoziert. Endlich offene Aktion! Danach scheint der Knoten geplatzt, zumindest für den Moment, und Vater und Sohn könnten wieder aufeinander zugehen. Ob das so ist, bleibt – wiederum schlüssig – am Ende offen. Statt der Aussprache schwebt in der letzten Einstellung (in der der Nebel der Frühlingssonne gewichen ist) eine am Hubschrauber hängende Kuh durchs Bild. Eben die, die sich Luis bei einem Spaziergang durch die einsame Bergwelt Kontakt suchend genährt hatte. Ob dieses Rindvieh jetzt vom Eis ist ...?

Michael Kochs Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln ist ein sehr filmischer Film. Im Kammerspiel, in das er Vater und Sohn wie in ein Therapieexperiment wirft, erfolgt die Psychologisierung fast ausschließlich auf der Bildebene. Das Schauspieltrio reagiert auf diese Inszenierungsvorgabe mit einem hoch entwickelten Spiel der Gesten und Blicke, die hier viel mehr sagen, als Worte noch könnten. Stark auch in einer Art Schlüsselszene, in der Luis auf seinen kleinen Stiefbruder aufpassen soll, aber das Baby gänzlich hilflos wie einen Gegenstand behandelt. Vielleicht dämmert es ihm in dieser momentanen Vaterrolle, warum sein Vater es mit ihm so schwer hat(te), wie der Sohn mit seinem ihm nicht unähnlichen Vater. (jm)
„Polar“, D/CH 2008, 29 Min., 35mm. Regie: Michael Koch, Buch: Juliane Großheim, Kamera: Bernhard Keller, Schnitt: Stefan Stabenow. Mit: Max Brauer, André M. Hennicke, Maria Kwiatkowsky. www.polar-film.com