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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Erinnern und Vergessen

Berlinale Shorts 1

Selten erinnert sich ein Film an das, wie er gemacht wurde. Im Schnitt wird die Entstehung vergessen. Gabriel Achim hingegen macht das „Bric-Brac“ (im Rumänischen heißt das so viel wie „Rummachen“) des Filmemachens zum Thema. Film im Film ist wie Theater auf dem Theater zwar ein alter Topos, in dem das Medium sich selbst reflektiert. Doch Achim bringt dies höchst kurzweilig auf die Leinwand. Seinen Hauptdarsteller (Paul Ipate) muss er am Küchentisch-Set, wo bewusst darauf geachtet wird, dass auch Kamera und Beleuchtungsflächen ins Bild kommen, erst überzeugen, gegen dessen Willen („Ich kann das nicht spielen, das Thema geht mich zu sehr an.“) die fragile Liebe zu seiner Freundin (Ioana Blaj) darzustellen. Am Küchentisch fliegen entsprechend heftige Fetzen – und auch mal ein Teller, und die Versöhnungsküsse wirken umso echter. Und umso komödienhafter. Eine Love-Story, die letztlich der Liebe zum Film gilt – mit einem Augenzwinkern ... Am Ende will der Regisseur „doch lieber den Revolutionsfilm drehen“.



Erinnert sich zu sehr ... Paul Ipate (Fotos: Berlinale)
Ein „Vu“ ohne Déja erlebt Regisseurin Leila Albayaty auch als Darstellerin in einer Begegnung mit ihrer Schwester im romantischen Italien. Im Gegensatz zu ihrer Verwandten, die sich mitten ins italienische „dolce vita“ stürzt, ist Albayatys Alter Ego heimgesucht von den „Masken, die die Erinnerung verstellen“. Vor der Erinnerung werde sie zur „Plastikpuppe“, „ich hab’ dein Gesicht vergessen, maskiert von der Erinnerung“. Dass Film unter seiner Illusion von Gegenwärtigkeit letztlich leidet, zeigt dieser Film über „das Bild, das ich nirgendwo und überall sah“. Eine Erinnerung, die das Vergessen fordert, um den freien Blick auf das Damals zu gewinnen.



Seltsame Erinnerung an das Alter Ego: Leila Albayaty
Isabelles (Gina Sylvester) Kurzzeitgedächtnis weist zunehmende Lücken auf. Dass sie am „Princess Margaret Blvd.“ zuhause ist, ist ihr plötzlich entfallen. Der Braten im Herd verbrennt, weil der nicht lange genug her ist. Welche Kreatur sie währenddessen als Schoßhündchen krault, entgleitet ihr ebenso. Der Psychologe, der ihr einen Test vorlegt, den sie nicht besteht, wird ihr wohl Alzheimer diagnostizieren müssen. Kazik Radwanski führt die Zuschauer behutsam auf diese Fährte des Vergessens. In extremen Großaufnahmen engt Kameramann Daniel Voshart den Raum ein, konzentriert den Blick auf eine Innenwelt, die zunehmend leerer wird, indem sie den Kontakt zur Außenwelt jenseits des Bildkaders verliert. Dennoch ist das kein Film über eine an Alzheimer Erkrankte, eher einer, der das Erinnern als Bild entlarvt, das nicht weniger trügt als die so genannte Gegenwart. Das Vergessen als wirkliche Erinnerung und Erkenntnis. Anekdote am Rande: Gina Sylvester, die hier wie eine Dokumentierte erscheint, ist eine Schauspielerin ganz bei Sinnen, die u.a. im Alzheimer-Erkennungs-Training für Psychologen arbeitet.



Gina Sylvester erinnert sich nicht ...
Unvergessen ist der Mythos von „Kain“ und Abel, des biblischen Brudermords aus Eifersucht. Kristof Hoornaert siedelt die Geschichte im Blätteridyll einer Vorfrühlingslandschaft an. Krabbeltiere wie Käfer und Raupe bevölkern in Großaufnahme diese Gefilde eines längst vergessenen Arkadiens, das umso gegenwärtiger wird, wenn Kain Abels Schädel splatter-mäßig einschlägt und den Leichnam dann nicht ohne Thriller-Avancen durch Wiesen, Felder und Wälder schleppt. Besinnungslos im Augenblick des Mordes schleicht sich dessen Erinnerung mehr und mehr in sein Gedächtnis, dessen Gesicht man erst am Ende sieht, denn die Figuren werden nur in Rückenansicht gezeigt. Ein treffendes Bild für das Vergessen, das erst im Erinnern wirklich wird.



Reue im Idyll: „Kain“
„I’ve done really awfull short films“, gesteht David O’Reilly, der mit seinem anarchisch pixeligen Animationsfilm „RGB-XYZ“ bereits auf der Berlinale 2008 in den Berlinale Shorts vertreten war. In „Please Say Something“ hat er seinen Nintendo-Figuren nun „erstmals eine Geschichte“ einbeschrieben. Ein kleiner Mäuserich, der vom Geschichten Erinnern und Schreiben nicht los kommt, düpiert seine 300 Pixel größere Katzenfreundin. Eine Love-Story auf den üblichen Abwegen des bereits dem Anfang ein-erinnerten Abschlusses. Ein Filmchen, das man getrost vergessen könnte, wäre da nicht diese archaische Erinnerung an das, was Film ausmacht: eine Reihe von in Liebe über die Leinwand bewegter Pixel. (jm)



Pixel-Liebe der Erinnerung ... „Please Say Something“
  • „Bric-Brac“, RUM 2008, 17 Min., 35mm Cinemascope. Buch, Regie: Gabriel Achim, Kamera: Martus Iacob, Schnitt: Gabriel Achim, Dorin Pene. Mit: Paul Ipate, Ioana Blaj
  • „Vu“, BE 2009, 26 Min., 35mm. Buch, Regie, Schnitt: Leila Albayaty, Kamera: Sébastien Koeppel. Mit: Leila Albayaty, Hana Albayaty
  • „Princess Margaret Blvd.“, CAN 2008, 14 Min., 35mm 16:9. Buch, Regie: Kazik Radwanski, Kamera: Daniel Voshart, Schnitt: Ajla Odobasic. Mit: Gina Sylvester
  • „Kain“, BE 2008, 16 Min., 35mm Cinemascope. Buch, Regie: Kristof Hoornaert, Kamera Richard van Oosterhout, Jo Vermaecke, Schnitt: Stijn Deconinck. Mit: Kevin Plet, Bart Desloovere
  • „Please Say Something“, IRL 2009, 10 Min., HDCAM. Buch, Regie, Animation: David O’Reilly, Sounddesign: David Kamp, Bram Meindersma