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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

A Family Gathering

„Soul Power“ (Jeffrey Levy-Hinte, USA 2008)

„Soul Power“ beginnt mit einer legendären Pressekonferenz im Waldorf Astoria in New York im Jahre 1974. Box-Promoter Don King und ein vor Selbstvertrauen strotzender Muhammad Ali kündigen den Weltmeisterschaftskampf Alis gegen den ungeschlagenen Weltmeister George Foreman in Kinshasa, Zaire, an. Eine Sensation, denn niemand glaubt, dass der 32-jährige Ali eine Chance gegen den scheinbar unschlagbaren Foreman hat. Vor dem Match soll es ein dreitägiges Musikfestival der Superlative mit den größten Stars der afroamerikanischen und afrikanischen Musikszene geben. Ali skandierte die Namen der damals angesagten R&B und Soul-Musiker: James Brown, B. B. King und Bill Withers.

„Say it loud, I’m black and I’m proud“, James Browns Titel aus dem Jahre 1968 bringt die Stimmung der Musiker und ihrer Entourage auf dem Flug nach Kinshasa auf den Punkt. Sie sind sich bewusst, Fight und Festival sind mehr als ein bloßes Sport-Großereignis mit musikalischer Begleitung. Sie sind ein selbstbewusstes Statement der afroamerikanischen Community.
Brown ist, wie Ali, Entertainment-Profi durch und durch, doch er nutzt seine Popularität auch, um die Black Nation zu unterstützen. „It’s like a homecoming after a very long time“, resümiert der Godfather of Soul, und die Bilder von der ersten gemeinsamen Jam Session noch auf dem Flughafen in Kinshasa geben ihm Recht. Die Musiker werden empfangen und gefeiert wie lang verloren geglaubte Söhne des Landes. Aber James Brown rechtfertigt auch das kommerzielle Interesse der schwarzen Künstler und Sportler: „You can’t win freedom when you’re broke.“



Headliner und Soul Brother No. 1: James Brown (Foto: Berlinale)
Levy-Hinte mischt zwischen die Szenen vom Aufbau der Bühne und den organisatorischen Schwierigkeiten Bilder aus dem Alltagsleben der Einheimischen in Zaire. Die Erwartungen an den Fight und das Festival sind enorm, der Ansturm auf die Karten am Box-Office entsprechend groß. Auf einer letzten Pressekonferenz vor Ort spricht Don King von einem „family gathering“ und Ali von einem „fight for freedom and liberty“. Und dann ist es so weit: „Soul Power“ zelebriert das dreitägige Konzert mit Ausschnitten aus den Auftritten von The Spinners, Bill Withers, Miriam Makeba, The Crusaders und B. B. King. Dazwischen schneidet Levy-Hinte die bewegenden Bilder der Begegnungen zwischen amerikanischen und afrikanischen Musikern und Fans. Ob hinter der Bühne oder auf dem Wochenmarkt, die Musik ist die verbindende Sprache. Denn in Zaire wird entweder Französisch oder die Stammessprache gesprochen. Den krönende Anschluss von „Soul Power“ bilden drei Songs aus dem Set von Mr. Dynamite James Brown. Der unglaublich energetische James Brown rechtfertigt mühelos seine Position als Headliner und als Soulbrother No. 1.

Der südafrikanische Musiker Hugh Masekela und der Musik-Promoter Stewart Levine konnten Don King überreden, den Fight und das Festival zu kombinieren. Als „Rumble in the Jungle“ wird Alis unerwartet siegreicher Fight in die Sportgeschichte eingehen. „Zaire ’74“, das Musikfestival, geriet jedoch in Vergessenheit. Die Aufnahmen, die ein mehrköpfiges Team unter der Leitung von Dokumentarfilmregisseur Leon Gast, darunter u.a. Albert Maysle, machten, blieben Jahrzehnte lang unveröffentlicht, weil sich die Finanziers in Rechtsstreitigkeiten verwickelten und das Geld für die Post Production nicht aufgetrieben werden konnte.

Erst ein knappes Vierteljahrhundert später wurden die Rechte am Material geklärt und das Geld für den Schnitt stand zur Verfügung. Regisseur Leon Gast konnte endlich „When We Were Kings“ (USA 1996) fertigstellen, der sich auf die Geschichte des Jahrhundert-Fights konzentriert und 1997 den Oscar für den besten Dokumentarfilm gewann. Jeffrey Levy-Hinte war bereits als Cutter an diesem Film beteiligt und hatte daher Einblick in die hunderten, weiteren Stunden Film, die „Zaire ’74“ dokumentieren. Von diesem Material ist praktisch nichts in „When We Were Kings“ zu sehen. Deshalb reifte in Levy-Hinte der Entschluss, dem Festival einen eigenen Film zu widmen. Befreit von der Last, auch den Boxkampf dokumentieren zu müssen, beschränkt sich Levy-Hinte in „Soul Power“ auf die Vorbereitung des Festivals, die Musiker, ihre Entourage und das Konzert. Auch aufgrund der schieren Menge an brillantem Ausgangsmaterial entschließt sich der Regisseur, ausschließlich Originalmaterial zu verwenden und auf retrospektive Interviews zu verzichten. Levy-Hintes erklärte Absicht war es aber auch, einen Film in der Tradition des Cinema Verité und von Dokumentationen wie „Gimme Shelter“ (Albert & David Maysles, USA 1970), „Woodstock“ (Michael Wadleigh, 1970) oder „Wattstax“ (Mel Stuart, USA 1973) zu schneiden. Das gelingt ihm auch deshalb hervorragend, weil die Kameramänner, die Leon Gast damals um sich scharte, bereits ihre Erfahrungen in eben jenen Projekten gesammelt hatten. Sie brachten ein fantastisches Gespür für die angespannten Situationen bei der Vorbereitung und die Nervosität vor dem Auftritt mit. Die Kameramänner scheinen immer und überall dabei gewesen zu sein, erstaunliche Szenen sind zu sehen. Ali bleibt einmal für einen Augenblick die Sprache weg, als ihn der Sänger der Soul-Gesangsgruppe Spinners mit einer Ali-Parodie beim Training überrascht. Doch schnell ist der Champ wieder gefasst und siegt im Ring auch beim Vierzeiler-Improvisieren.

Welch ein Glück, dass das Filmmaterial, von Beschränkungen durch Rechtsstreitigkeiten befreit, endlich das Licht der Kinosäle erblickt. Dankbar muss man Regisseur Levy-Hinte sein, dass er nicht nur die Monate und Jahre der Sichtung und Produktion auf sich genommen hat, sondern den Film im Geiste seiner Kameramänner, der Zeit und des Cinema Verité gestaltet hat. „Soul Power“ wird so in mehrfacher Hinsicht zu einer beglückenden Zeitreise.
Den Soul- und R&B-Fans sei übrigens verraten, dass Regisseur Jeffrey Levy-Hinte eine komplette Ausgabe des Konzertes auf DVD plant. Als Edition zusammen mit „When We were Kings“ und „Soul Power“ wäre es endlich die gebührende Aufarbeitung für einen wichtigen Moment in der Geschichte der Populärkultur und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. (dakro)
„Soul Power“, USA 2008, 82 Min., 35 mm. Buch und Regie: Jeffrey Levy-Hinte, Kamera: Paul Goldsmith, Kevin Keating, Albert Maysles, Roderick Young u.a., Ton: Tom Efinger, Schnitt: David Smith, Produktion: Jeffrey Levy-Hinte, David Sonenberg, Leon Gast für Antidote Films Inc., New York