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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Lost In Transmission

„The Exploding Girl“ (USA 2009, Bradley Rust Grey)

Das Handy ist Ivys ständiger Begleiter. Egal ob sie vor verschlossener Tür zu einer Party steht, mit ihrer Mutter telefoniert oder vergeblich auf eine Anruf ihres Freundes Greg wartet. Sie vermisst ihn. Er vermisst sie auch, zumindest versichert der ferne Freund das wenig enthusiastisch über die Kommunikationskrücke Handy. Ivy nimmt das hin. Gefühle auf Distanz.


Ivy (Zoe Kazan) und Al (Mark Rendall) über den Dächern von New York
Ivy ist für eine Woche zurück aus dem College bei ihrer Mutter in New York. Sie vertreibt sich die Zeit mit Tanzstunden im Studio ihrer Mutter, Partys und einem ärztlichen Routine-Check-Ups wegen ihrer jugendlichen Epilepsie. Und mit meist vergeblichen Anrufen bei ihrem Freund, dessen Stimme sie immer häufiger nur auf dem Anrufbeantworter hört. Auch Al, ihr sensibler Jugendfreund und Kommilitone, zieht für diese Woche bei Ivy und ihrer Mutter ein. Seine Eltern haben das Zimmer des jungen Studenten bereits untervermietet.
Darüber ist Ivy gar nicht unglücklich, denn Al ist nicht nur ihr bester Freund, sondern praktisch ein Mitglied der Familie, er war immer schon da. Die Beiden verbringen viel Zeit miteinander und werden von Verwandten bereits für ein Paar gehalten. Doch beide versichern, vor allem sich gegenseitig, dass sie nur gute Freunde sind.
Ivy ist gewohnt, alle Emotionen zu unterdrücken, um Stress und einen möglichen epileptischen Anfall zu vermeiden. Als sich ihre Beziehung über das Handy langsam aber sicher in Wohlgefallen auflöst, protestiert sie nicht. Gleichzeitig ignoriert sie scheinbar Als vorsichtige Avancen. Nur die eifersüchtigen Blicke, wenn Al auf Partys mit anderen Mädchen flirtet, verraten ihre mehr als freundschaftlichen Gefühle. Ivys Körper wird zur tickenden Bombe.

Wunderbar beiläufig erzählt Bradley Rust Grey diesen Schwebezustand zwischen Freundschaft und Verliebt-Sein aus der Sicht der jungen Ivy. Sein Portrait dieser nur vermeintlich schwachen, weil sich nie wehrenden jungen Frau, entfaltet seine Wirkung auch nachdem die Bilder von der Leinwand verschwunden sind. Eine ungeheure Disziplin muss der Teenager aufbringen, um sich und ihre Krankheit im Griff zu behalten. Die Beherrschtheit, die sich Ivy selbst auferlegt, löst Grey filmisch in lange, bedachte Einstellungen auf. Gleich die erste Einstellung zeigt Vertrauen in die Kraft der Filmbilder: sie zeigt Ivy schlafend unter vorbei rauschendem grünem Laub, schemenhaft reflektiert im Autofenster. Und auch wenn Taubenschwärme vor einem New Yorker Sonnenuntergang ein wenig kitschig wirken mögen, seine Wirkung entfaltet dieses Sinnbild für ein emotionales Erwachen dennoch. Kameramann Eric Lin ist nie auf der Suche nach reinen Schauwerten, sondern nach dem passenden filmischen Ausdruck für die Gefühlslage der stillen Heldin. Das Spiel der Darsteller fängt er unprätentiös ein. Oft und lange bleibt seine Kamera auf dem Gesicht der jungen Schauspielerin Zoe Kazan, Enkelin von Regisseur Elia Kazan, die Ivys innere Kraftanstrengung sichtbar werden lässt.

Wenn Ivy am Ende doch noch distanzlos zu ihren Gefühlen stehen kann, wird sie kein elektronisches Kommunikationsmittel brauchen. Eine kleine Berührung wird reichen. (dakro)
„The Exploding Girl“, USA 2009, 79 Min., HDCam. Buch, Regie: Bradley Rust Grey, Kamera: Eric Lin, Schnitt: Bradley Rust Grey, So Yong Kim. Mit: Zoe Kazan, Mark Rendall u.a.