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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Surviving in New York

„Der gute Amerikaner“ (Deutschland 2009, Jochen Hick)

Eine amerikanische Self-Made-Karriere der anderen Art: Als der Student der Politikwissenschaften Tom Weise Anfang der 90er nach New York kommt, ist er von den Eltern verstoßen, mittellos, ohne Kontakte und Aufenthaltsgenehmigung. Als HIV-Positiver dürfte er eigentlich nicht einmal in die Vereinigten Staaten einreisen, aber er riskiert ein Leben in der Illegalität, beseelt von der Hoffnung dort einen positiveren Umgang mit seiner Krankheit zu finden als in Deutschland. Mehr schlecht als recht schlägt er sich als Escort, Begleiter für schwule Männer, durch. Er verdient kaum Geld und wird obdachlos. Als er Mitte der 90er die heute erfolgreichste Web-Plattform für Escort Services „rentboy.com“ mit begründet und als Spezialist für schwule Party Events erfolgreich wird, wendet sich das Blatt für Tom Weise. Immer haarscharf am Rande des gesetzlich Verbotenen, löst rentboy.com die Print-Kontaktanzeige ab und bietet darüber hinaus auch Beratung und Foren für alle Fragen um schwule Sexualität. Tom Weise’s „Hustlaballs“ in New York, Las Vegas und Berlin werden zu In-Treffpunkten für männliche Pornostars, Escorts und Fans.



Tom Weise in seinem Element, dem „Hustlaball“ (Foto: Berlinale)
Sein ursprüngliches Ziel, einen thematischen Film über die Hustlaballs, Escorts und den Unterschied im Umgang mit bezahlten männlichen Sexdienstleistungen in den USA und Old Europe zu drehen, gab Hick zugunsten eines Portraits von Tom Weise auf. Hick steigt in dessen Biographie ein, als Weise gerade beschlossen hat, nach gut anderthalb Jahrzehnten in der Illegalität wieder in seine Heimat zurückzukehren. Hick begleitet Weise bei seinen letzten Hustlaballs in Las Vegas und New York, beim Christopher Street Day und in den Ferien mit Lebenspartner Keith auf Fire Island. Weise spricht schonungslos offen über seine Krankheit und die Verzweiflung, die die Diagnose Hepatitis C auslöste. Von schmaler Statur und durch die Krankheit gezeichnet, wirkt seine Karriere in einer von Jugendlichkeit und Schönheitsidealen geprägten Welt der Sexdienstleistung und der Porno-Industrie umso ungewöhnlicher. Doch Tom Weise ist von einem ungebrochenen Optimismus und seine Energie reicht nicht nur für seine geschäftlichen Verpflichtungen, sondern darüber hinaus noch für zahlreiche Charity-Aktivitäten bis hin zur persönlichen Betreuung von HIV-positiven Jugendlichen. Freunde halten ihn für einen besseren Amerikaner als die meisten legalen Staatsbürger. Sein kaum zu bändigender Unternehmergeist ist es allerdings, der ihm bei der Rückkehr nach Berlin Schwierigkeiten bereitet. Der „Kontrollmensch“ Weise, wie er sich selbst einschätzt, muss zunächst lernen, loszulassen oder zu teilen, auch sein eigenes Kind, den „Hustlaball“.



Tom mit Partner Keith auf dem CSD in New York (Foto: Berlinale)
„Der gute Amerikaner“ ist bereits Jochen Hicks siebte Produktion, die für die Berlinale ausgewählt wurde. Erst im letzten Jahr war er mit der Dokumentation „East & West – Sex & Politics“ über Moskauer Schwule und ihren Kampf um öffentliche Anerkennung in der Panorama-Sektion vertreten. Seine Portraits zeigen Menschen in komplexen, oft bedrohlichen gesellschaftspolitischen und persönlichen Situationen, jenseits klischeebehafteter Vorstellungen eines flamboyanten, hedonistischen Lebensstils. Auch „Der gute Amerikaner“ gewährt ungeschönte, spannende Einblicke in die Grenzbereiche zwischen schwuler Subkultur, bezahlter Sexualität und Porno-Industrie. Während es bei den Berliner Schwulen-Events keine Einschränkungen bei den Sex-Performances gibt, ist beim „Hustlaball“ in Las Vegas bereits die Nacktheit gesetzlich verboten. Darum haben sich in den USA bereits Nightclubs und ganze Hotels auf Gäste mit „Alternative Lifestyle“ eingestellt und erfüllen gerne den Wunsch ihrer betuchten Kunden auf Abgeschlossenheit und Diskretion. Sexualität ist im prüden Amerika ein gutes Geschäft. Die Escorts verdienen eine Vielfaches ihrer europäischen Kollegen, können Haus und Auto finanzieren.

Joch Hicks selbst produzierte, faszinierende Dokumentation wird es hoffentlich, wahrscheinlich über seinen Selbstverleih, in die Lichtspielhäuser schaffen. Denn die Chancen für eine ungeschnittene Fernsehausstrahlung könnten auch aufgrund einiger expliziter Szenen gering sein. Für Tom Weise immerhin hält der Film mit der offiziellen Eintragung seiner Partnerschaft mit Keith und dem Besuch der elterlichen Wäschereinigung in Hannover ein Happy End bereit. Das bleibt dem Film auch zu wünschen. (dakro)
„Der gute Amerikaner“, D 2009, 92 Min., Digi Beta. Buch, Kamera, Regie: Jochen Hick, Schnitt: Thomas Keller, Produktion: Jochen Hick für Galeria Alaska Productions, Hamburg. Mit: Tom Weise, Keith Richmond, Frederik Berlin, Jeffrey Davids, Sascha Müller-Bardone u.a. Festivalpräsentation mit Unterstützung der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein GmbH