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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

63. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2013

Forum 2013: Umbruch, Ãœbergang und Wandel

Von gesellschaftlichen Umbrüchen und Zeiten des Übergangs und Wandels handeln zahlreiche Beiträge zum Forumsprogramm 2013. Versuche der Vergewisserung und Neuorientierung bestimmen dabei nicht nur die Inhalte der Filme, sondern gerade auch ihre formalen Ansätze.

Besonders stark zeigt sich das europäische Kino in Ost und West. Der kroatische Spielfilm Obrana i zaštita (A Stranger) von Bobo Jelčić beschäftigt sich mit der fast unüberwindlichen Teilung der herzegowinischen Stadt Mostar: Die Beerdigung eines alten Freundes im muslimischen Teil der Stadt gerät zur existentiellen Herausforderung für einen Kroaten, dessen Angst, in der eigenen Gemeinschaft anzuecken, groteske Züge annimmt.

In Georgien ist eine neue Generation von Filmemachern angetreten, die damit begonnen hat, sich der eigenen Geschichte zu widmen. Grzeli nateli dgeebi (In Bloom), der erste Spielfilm von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß, nimmt mit der Geschichte zweier Freundinnen in dem von Bürgerkrieg und Armut geprägten Land des Jahres 1992 die verschütteten Traditionen des georgischen Kinos wieder auf, verwebt Gewaltausbrüche und Idylle, frühreife Kaltblütigkeit und kindliche Naivität zu einer rhythmischen filmischen Komposition.

Der griechische Spielfilm I aionia epistrofi tou Antoni Paraskeua (The Eternal Return of Antonis Paraskevas) von Elina Psykou bedient sich des Stilmittels der Groteske, um von Abstürzen und Ungewissheit zu erzählen. Darin täuscht ein Fernsehmoderator, der seinen Stern sinken sieht, seine eigene Entführung vor und quartiert sich in einem verlassenen Luxushotel ein. Sein surreales Schicksal wird zum Kommentar der gegenwärtigen Lage des Landes. Mit ganz unterschiedlichen Stilmitteln bewerkstelligen das auch die beiden anderen griechischen Beiträge: I kóri (The Daughter) von Thanos Anastopoulos erzählt von einem 14jährigen Mädchen, das zu drastischen Mitteln greift, um ihrem Vater aus der wirtschaftlichen Klemme zu helfen. Sto lyko (To the Wolf) von Christina Koutsospyrou und Aran Hughes wiederum ist ein Hybrid aus Spiel- und Dokumentarfilm, das sich in allegorischen Bildern mit der bitteren Armut beschäftigt, die sich in Europas Mitte ausbreitet.

Zwischen Dokumentar- und Spielfilm bewegt sich auch der spanische Beitrag La plaga (The Plague) von Neus Ballús, die in ihrem Regiedebüt fünf Menschen verschiedener Herkunft an der Peripherie der Großstadt Barcelona im verzweifelten Kampf um ihre Existenz beobachtet.

Vier deutsche Filme präsentiert das Programm dieses Jahres, allesamt junge, außergewöhnliche und originelle Beispiele für ein höchst diverses Filmschaffen. Ramon Zürchers Debüt Das merkwürdige Kätzchen zelebriert anhand einer sommerlichen Familienzusammenkunft in einer Berliner Altbauwohnung eine Choreografie des Alltags, die ihren besonderen Blick auf Ausschnitte, Details und Gesten legt. In Nicolas Wackerbarths Halbschatten folgt eine Frau der Einladung ihres Geliebten nach Südfrankreich, trifft in dessen Bungalow jedoch lediglich die ihr gegenüber reservierten Kinder des Mannes an, mit denen sie sich in den kommenden Tagen des Wartens und der Ungewissheit arrangieren muss. Die Interaktionen eines verzweigten Freundeskreises, der sich nach dem Selbstmord eines der ihren in einem Haus auf dem Land trifft, stehen im Mittelpunkt von Echolot. Das Spielfilmdebüt von Athanasios Karanikolas fängt die zunehmend entgleitende Stimmung dieses Zusammentreffens ein. Zwischen Inszenierung und dokumentarischer Darstellung bewegt sich Marcin Malaszczak mit Sieniawka, der in einer vom Kohletagebau entstellten Landschaft und einer heruntergekommenen Anstalt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfließen lässt: ein lyrisches Porträt der postsozialistischen Wirklichkeit zwischen Polen, Tschechien und Deutschland.

Eine dänisch-neuseeländische Koproduktion ist das Spielfilmdebüt The Weight of Elephants von Daniel Joseph Borgman. Er erzählt von einem zehnjährigen Jungen, der die Welt verspielt-verträumt wahrnimmt und in seiner Fantasie dem harschen Kleinstadtalltag Neuseelands entflieht.

Abseits der Ballungszentren spielen auch die drei US-Spielfilme im Programm. In A Single Shot von David M. Rosenthal mit Sam Rockwell und William H. Macy erwächst aus der Vertuschung eines Jagdunfalls ein nicht enden wollender Alptraum. Andrew Bujalski versetzt sein Publikum mit Computer Chess ästhetisch und thematisch zurück in die 1980er Jahre, wo in einem Provinzhotel ein Kongress der Schachprogrammierer aus dem Ruder läuft. Und Matt Porterfield erzählt in I Used to be Darker von einer jungen Nordirin, die im Liebeskummer Zuflucht bei Verwandten an der amerikanischen Ostküste sucht.

Das 43. Forum der Berlinale zeigt insgesamt 41 Filme im Hauptprogramm, davon 22 als Welt- und 10 als internationale Premiere.
  • Die 727 Tage ohne Karamo von Anja Salomonowitz, Österreich – WP
  • A Single Shot von David M. Rosenthal, USA/Großbritannien/Kanada – WP
  • Al-khoroug lel-nahar (Coming Forth by Day) von Hala Lotfy, Ägypten
  • A batalha de Tabatô (The Battle of Tabatô) von João Viana, Guinea-Bissau/Portugal – WP
  • Computer Chess von Andrew Bujalski, USA – IP
  • Echolot von Athanasios Karanikolas, Deutschland – WP
  • Elelwanivon Ntshavheni Wa Luruli, Südafrika – IP
  • Fahtum pandinsoong (Boundary) von Nontawat Numbenchapol, Thailand/Kambodscha – WP
  • Fynbos von Harry Patramanis, Südafrika/Griechenland – IP
  • Grzeli nateli dgeebi (In Bloom) von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß, Georgien/Deutschland – WP
  • Halbschatten von Nicolas Wackerbarth, Deutschland/Frankreich – WP
  • Hélio Oiticica von Cesar Oiticia Filho, Brasilien – IP
  • I aionia epistrofi tou Antoni Paraskeua (The Eternal Return of Antonis Paraskevas) von Elina Psykou, Griechenland – WP
  • I kóri (The Daughter) von Thanos Anastopoulos, Griechenland/Italien – IP
  • I Used to Be Darker von Matt Porterfield, USA – IP
  • Je ne suis pas mort (I’m Not Dead) von Mehdi Ben Attia, Frankreich – IP
  • Krugovi (Circles) von Srdan Golubović, Serbien/Deutschland
  • Kujira no machi (The Town of Whales) von Keiko Tsuruoka, Japan
  • Lamma shoftak (When I Saw You) von Annemarie Jacir, Palästinensische Gebiete/Jordanien
  • Matar extraños (Killing Strangers) von Jacob Secher Schulsinger, Nicolás Pereda, Mexiko/Dänemark – WP
  • Materia oscura (Dark Matter) von Massimo D’Anolfi und Martina Perenti, Italien – WP
  • Das merkwürdige Kätzchen von Ramon Zürcher, Deutschland – WP
  • Le météore (The Meteor) von François Delisle, Kanada
  • Mo sheng (Forgetting to Know You) von Quan Ling, Volksrepublik China – WP
  • …Moddhikhane Char (Char... The No Man’s Island) von Sourav Sarangi, Indien
  • Obrana i zaÅ¡tita (A Stranger) von Bobo Jelčić, Kroatien/Bosnien-Herzegowina – WP
  • La Paz von Santiago Loza, Argentinien – WP
  • La plaga (The Plague) von Neus Ballús, Spanien – WP
  • Powerlessvon Fahad Mustafa und Deepti Kakkar, Indien – WP
  • Sakura namiki no mankai no shita ni (Cold Bloom) von Atsushi Funahashi, Japan
  • Senzo ni naru (Roots) von Kaoru Ikeya, Japan – WP
  • Shirley – Visions of Reality von Gustav Deutsch, Österreich – WP
  • Sieniawka von Marcin Malaszczak, Deutschland/Polen – WP
  • Stemple Pass von James Benning, USA – IP
  • Sto lyko (To the Wolf) von Christina Koutsospyrou und Aran Hughes, Griechenland/Frankreich – WP
  • Terra de ninguém (No Man's Land) von Salomé Lamas, Portugal – IP
  • Tian mi mi (Together) von Hsu Chao-jen, Taiwan
  • Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern von Peter Liechti, Schweiz – WP
  • Viola von Matías Piñeiro, Argentinien
  • The Weight of Elephants von Daniel Joseph Borgman, Neuseeland/Dänemark – WP
  • Za Marksa... (For Marx...) von Svetlana Baskova, Russland – IP
(WP= Weltpremiere, IP= Internationale Premiere)

(nach einer Pressemitteilung der Berlinale)