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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

68. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2018

Was wird aus der Berlinale? – Eine kleine Presseschau

Eigentlich ist es ein alter Hut. Die Kritik an der Programmstruktur und Filmauswahl der Berlinale existiert schon seit etlichen Jahren. Schon 2010 nahm infomedia-sh auf Bitte der FFHSH, einen Berlinale-Kommentar aus dem Netz, in dem unter anderem Folgendes zu lesen stand:


„Vielleicht sollte Kosslick im Zenith seines Schaffens seinen Hut nehmen, so lange er noch so beliebt ist. Denn die Kritik wird lauter werden, dass ist so sicher wie die Digitalisierung des Kinos. Vielleicht sollte sich die Berlinale vom Wettbewerb verabschieden, in dem doch jedes Jahr mehr mäßige Filme von den eigentlich sehr sehenswerten Entdeckungen in den anderen Programmteilen ablenken. Sicherlich ein unmögliches Ansinnen. Aber die diesjährige Retrospektive, in der 38 Klassiker aus 60 Berlinale-Jahren unter dem Motto „Play it Again …!“ versammelt waren, stimmte doch nachdenklich. „Ikiru“ (1954 im Wettbewerb der Berlinale) von Kurosawa, „La Notte“ (1960/61) von Antonioni, „The Thin Red Line“ (1997/98) von Malick: Gibt es solche Meisterwerke heute nicht mehr für die Berlinale?“

Im November 2017 forderten 79 deutsche Regisseure nun in einem offenen Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grüters eine Reform der Berlinale:

„Die Berlinale ist eines der drei führenden Filmfestivals weltweit. Die Neubesetzung der Leitung bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken. Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt. Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang.“

Anlass dieses offenen Briefes war die anstehende Bestellung eines neuen Festivaldirektors ab Juni 2019 als Nachfolge für Dieter Kosslick. Stoßrichtung war somit die Zukunft der Filmfestspiele und nicht vorrangig Dieter Kosslick. DER SPIEGEL deutete aber das Ansinnen der Filmemacher in eine Generalkritik an Kosslick um.

Gerade das hatten die Unterzeichner des Briefes nicht vor. Bewusst fanden sich im Vorschlag keine Namen. Die Spätfolgen dieser unangemessenen Skandalisierung waren noch beim diesjährigen Festival zu spüren: Dieter Kosslick gab sich bisweilen verschnupft und wird unter Umstäden nicht mehr viel Motivation für sein letztes Jahr als Berlinale-Chef übrig haben. Und was wichtiger ist: Von der Forderung der Filmemacher nach Transparenz bei der Bestellung eines neuen Chefs der Berlinale konnte durch die Generalkritik an Kosslick zum Teil erfolgreich abgelenkt werden.

Einer Reform der Berlinale muss eine eingehende Bestandsaufnahme des Ist-Zustands und Deutung des Befunds vorausgehen. Rüdiger Suchsland liefert in seinem Artikel „Die Berlinale ist gefährdete Marke“ auf artechock.de in sechs Thesen einige Ansatzpunkte für eine eingehende Analyse. Unter der Überschrift: „Die Berlinale kann gar nicht besser sein. Oder doch?“ konstatiert er:
  1. Die cinephilen Erwartungen an das Festival werden regelmäßig enttäuscht.
  2. Der deutsche Film hat die Berlinale nicht nötig.
  3. Wohlfühlfilme sind keine politischen Filme.
  4. Die Berlinale kommt als Filmproduzent in einen Selbstverständniskonflikt.
  5. Die Berlinale ist nicht populär, sie ist populistisch.
  6. Das Marketing nach einer Event-Logik lenkt vom eigentlichen Kern des Festivals ab.
Und zieht folgendes Fazit:
„Die Berlinale ist im schärfer gewordenen Verdrängungswettbewerb der Filmfestivals qualitativ eine gefährdete Marke. Das ist längst keine Einzelmeinung mehr und auch kein Kritikervorurteil. Während sie in die dubiose Breite von Kulinarischem Kino und Berlinale Special für fett geförderte Fernsehfilme expandiert, während die Nebenreihen immer öfter die besseren Filme enthalten, zeigt ausgerechnet der Wettbewerb als Aushängeschild die künstlerisch entbehrlichsten Filme. Die Berlinale wird durch Verbreiterung, Nivellierung und populistisches Design des Programms ihrer Rolle als Kurator immer weniger gerecht. Sie verändert sich insgesamt zu ihrem Nachteil.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen, nach denen es zum Direktor keine personelle Alternative zu geben scheint, in denen Verträge ohne öffentliche Debatte und Ausschreibung par ordre du mufti verlängert werden und die Träger des Festivals an der so antiquierten wie Überholter Idee eines allmächtigen Direktor/Diktators festzuhalten, gilt leider trotzdem mehr denn je: Die Berlinale kann gar nicht besser sein.

Obwohl sich Monika Grüters bemüht, offen auf das Schreiben der 79 Regisseure vom 24. November 2017 zu reagieren, erinnerten diese sie in einem zweiten Schreiben am 6. Februar 2018 noch einmal an ihre Forderungen. Zwar ist die Diskussion über die Berlinale inzwischen auf allen Ebenen im vollen Gange, beriet auch am 31.1.2018 der Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH (KBB) in einer Sondersitzung über die Zusammensetzung einer Findungskommission. Doch stellt sich die geforderte Transparenz bei den Entscheidungsträgern nur teilweise befriedigend ein. So ging die Ministerin in ihrer Rede anlässlich des Produzententages auf der Berlinale am 15. Februar 2018 mit keinem Wort auf das Ansinnen der Regisseure bezüglich der Berlinale ein.

Abschließend noch einmal zurück zu Dieter Kosslick und seiner Berufung zum Festivaldirektor im Juli 2000, mit einem Zitat aus dem Berliner Tagesspiegel vom 29. Januar diesen Jahres:
„Als klar war, dass der Vertrag seines Vorgängers Moritz de Hadeln nicht verlängert würde und der Name Kosslick bereits gerüchteweise kursierte, sagte Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD) im SPIEGEL: ’Warum soll ich eine lange öffentliche Debatte führen, nur weil die Presse sie angezettelt hat?’ Und: ’Die Berlinale-Leitung ist keine Funktion, die einer Urabstimmung durch die Filmkritik unterliegt, sondern vielmehr einer Abstimmung zwischen dem Bund und Berlin.“ Eine solche Äußerung heute von Grütters? Undenkbar. Die CDU-Politikerin lud im Gegenteil selber zur Podiumsdiskussion im Dezember.

Bei Kosslicks Berufung damals durch das Kuratorium der Berliner Festspiele soll die SPD-Connection aus der Hamburger Zeit von Kosslick, Naumann und dessen Amtschef Knut Nevermann, eine Rolle gespielt haben, von Kungelei war die Rede. Aber kaum dass er loslegte, wurde der damals 53-Jährige als Erneuerer wahrgenommen. Kosslick, das war der Mann, der die Berlinale entstaubte, modernisierte, intern befriedete und die deutsche Filmszene mit dem Festival versöhnte. Und es stimmte ja auch. (Helmut Schulzeck)