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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

56. Nordische Filmtage Lübeck 2014

Demokratischer Rassismus und Nächstenliebe

„Willkommen auf Deutsch“ (Hauke Wendler und Carsten Rau, D 2014)


Wenn man den Dokumentarfilm „Willkommen auf Deutsch“ von Hauke Wendler und Carsten Rau sieht, kann einem die kalte Wut und hilflose Empörung packen über so viel Ausländerfeindlichkeit im gut situierten, deutschen ländlichen Mittelstand. Dabei hilft das euphemistische, gern beschworene Wort von der „Willkommenskultur“, das von Politik und Medien im Verein mit den Behörden in guter Absicht in die Welt gesetzt wurde, kaum, die wahren Verhältnisse zu kaschieren, in denen die dümmlichsten Vorurteile, Bedenken und schiere Ablehnung gegenüber Flüchtlingen blühen, die hier Schutz für einen Neuanfang suchen, auch wenn es natürlich auf der anderen Seite „die Guten“ gibt, die mit echtem Mitgefühl und wahrem Verständnis den Asyl-Bewerbern helfen, und deren Einsatz im Film als positives Gegenbeispiel ausführlich gewürdigt wird. Man mag "Willkommen auf Deutsch" diese versteckte Schwarzweißzeichnung (die sich auch geographisch in den Orten niederschlägt: Appel versus Tespe) vorhalten, andererseits macht der Film keinen Hehl daraus, dass Ausländerfeindlichkeit beruhend auf Unwissenheit und Indifferenz bei dem Gros der ansässigen Bevölkerung eine gewisse latente Konstante darstellt.

Diese auf den ersten Blick (schleichende) Angst vor Überfremdung, die dannn in harte Ressentiments umschlägt, wird treffend von Wendler und Rau dargestellt. Ganz harmlos in dörflicher Idylle mit heimeliger Musik (die an die musikalische Untermalung der nachmittäglichen, allseits beliebten Zoo-Sendungen erinnert) kommt hier ein Film daher, der es vielleicht erst auf den zweiten Blick in sich hat. So schön die herbstliche Landschaft an der Elbe, so erschreckend schließlich die Gesinnung vieler Anwohner. Eher vorsichtig und verallgemeinernd heißt es in der Produktionsankündigung, der Film würde „hinterfragen, was einem nachhaltigen Wandel der Ausländer- und Integrationspolitik in diesem Land im Wege steht“. Nun, der Film hinterfragt nicht bloß, sondern zeigt ganz offen diese Hindernisse, indem er stellvertretend einfach besonders die Bevölkerung der niedersächsischen Gemeinde Appel im Landkreis Harburg zu Wort kommen lässt. Und verblüfft stellt der ahnungslose Betrachter fest, dass man nicht unbedingt Anhänger der NPD oder einer sonstigen rechtsradikalen Partei oder Gruppierung sein muss, um ein gewisses „Volksempfinden“ zu entwickeln, wenn es um die so genannten „Asylanten“ geht. Auch "demokratische" Bürger oder SPD-Bürgermeister können über dieses "gewisse Potential" verfügen. Die sprechenden und handelnden Personen im Film entlarven sich selbst, da braucht es keine weiteren Kommentare der Filmemacher. Man staunt wirklich über solch unverblümte Offenheit.


Willkommen im Container ... (Foto: Pier 53 Filmproduktion)
In Appel geht es um ein ehemaliges Altersheim, das der Landkreis in eine Bleibe für 53 Asylbewerber umbauen will. Das ruft in der 415 Personen großen Gemeinde äußersten Alarm hervor, unisono ist von „sozialer Unverträglichkeit“ die Rede. Welch ein Nutzen eines hier ideologischen Kampfwortes, das in diesem Fall die allgemein vorherrschende Xenophobie bemäntelt und dennoch so etwas wie soziale Verantwortung und Sorge vortäuscht. Sprachrohr der offentsichtlich zahlreichen fremdenfeindlichen Bedenkenträger ist der Vorsitzende einer Bürgerinitiative, Hartmut Prahm, der sich selbst vorurteilsfrei wähnend energisch gegen die Überstellung der Flüchtlinge in seinen Ort kämpft. Scheinheilig und gönnerhaft spricht er davon, die Situation der Fremden zu kennen und ihnen helfen zu wollen. Am besten damit, dass man so wenig wie möglich von ihnen bei sich beherbergt, möchte man hinzufügen. Denn 53 fremde Männer (womöglich noch aus Afrika, aber ...) „egal welcher Nationalität“, würden junge Mütter veranlassen, ihre Kinder nicht mehr auf die Straße zu lassen, denn sie brächten ein „gewisses Potential mit, zumal sie letztlich auch gewisse menschliche oder männliche Bedürfnisse haben könnten“. Die Mütter flichten bei, sie hätten von diesen Ängsten gehört. Was hier so peinlich umständlich verklausuliert wird, ist die Befürchtung, dass männliche Asyl-Bewerber in Gruppen auftretend per se pädophile Vergewaltiger sein könnten. Und man glaubt es kaum: Zwei besorgte Mütter haben keine Scheu, die Unterstellungen ihres Nachbarn Prahl zu bestätigen, und der SPD-Bürgermeister leitet dieses Gespräch in seinem Amtsraum vor laufender Kamera sachlich und verstänisvoll ohne eine Spur des Widerspruchs oder Protests.

Dem Widerstand des Dorfes kommt, welch glückliche Fügung, der vorgeblich selbstlose Gastwirt zu Hilfe, der seine wenigen, engen, leerstehenden Gästeräume als Ersatz für das Altersheim dem Ausländeramt zur Verfügung stellen will, mit sechs Quadratmeter pro Ausländer; das entspricht bekanntlich der gesetzlich vorgeschrieben Mindestgröße eines Hundezwingers. Zur Beruhigung: Auch die im Film gezeigten Containerwohnstätten haben keine größeren Zimmer. - Der Gemeinde gelingt es schließlich, mit einer Veränderungssperre im Bebauungsplan die Pläne des Ausländeramtes zu verhindern.

Das Gegenbild zu den Verhältnissen in Appel zeigt der Film in der Gemeinde Tespe. Zwar haben auch hier Bewohner Angst um die Entwertung ihrer Grundstückspreise durch die Nachbarschaft zu einem knappen Dutzend Flüchtlingen, die in einer ehemaligen Sparkasse untergebracht sind. Aber es gibt eben hier auch die spontane Hilfsbereitschaft einer Frau und ihrer Freundinnen, die erfolgreich und geradezu rührend einer vielköpfigen tschetschenischen Familie in ihrer Not beistehen und helfen und mit glücklichen Ausgang demonstrieren, was Nächstenliebe und gesunder Menschenverstand bewirken können. (Helmut Schulzeck)

„Willkommen auf Deutsch“, D 2014, 89 Min., Farbe. Buch und Regie: Hauke Wendler, Carsten Rau, Kamera: Boris Mahlau, Schnitt: Stefan Haase, Musik: Sabine Worthmann, Produktion: Hauke Wendler, PIER 53 Filmproduktion, Förderung: Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH).