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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

Requiem auf eine Revolution

„Revolution 18“ (Kai Zimmer, D 2012)


Er steht prominent in den Geschichtsbüchern: Der Kieler Matrosenaufstand, der die Revolution 1918 eröffnete. Allein, er scheiterte ebenso wie seine Fortsetzung in Berlin, auch das steht in den Geschichtsbüchern. Kai Zimmer, ehemals Kieler (und mit seiner Heimat immer noch verbundener, wie dieser zweite Teil seines Kiel-Diptychons (zusammen mit „Seestück“, 2009) zeigt), nunmehr Berliner Videokünstler, Fotograf und Experimentalfilmer, hat sich der „Revolution 18“ angenommen, um ihr sechs Jahre vor ihrem 100. Geburts- wie Todestag ein Requiem zu singen. Ein Requiem darüber, dass Revolutionen in Deutschland nicht funktionieren, es sei denn, sie reißen wie 1989 Mauern ein – und führen dann doch nur dazu, dass man sie fortsetzen, neu entfachen müsste.

„Wir sind das Volk!“ riefen die Demonstranten in Leipzig im Oktober 1989 und begannen damit, den „ersten“ – freilich gescheiterten – „Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“ zu beseitigen. Eine Revolution, die wie die gut 70 Jahre vorher letztendlich scheiterte. Auch der Kieler Ingenieur Nicolaus Andersen (1882 - 1946) „war das Volk“, einer, der aus seiner ganz privaten Sicht in seinem Tagebuch die bewegte, revolutionäre Zeit in Kiel vom August 1917 bis zu den Tagen des Matrosenaufstands im November 1918 begleitete. Zimmer wählt diese eingeschränkte, aber umso authentischere Perspektive, um auf die weltbewegenden Kieler Ereignisse im Herbst 1918 zu blicken. Eine Perspektive, in der das historische Geschehen auf den Alltag reduziert ist, wo man „im Kaisersaal kein Essen mehr“ bekommt, aber durchaus noch bei der Verlobten „P.“, wo im Zweifel Fußball-Torschüsse vor Ort wichtiger sind als die an der Westfront, wo „70 Geschütze verloren“ gingen. „Geschichte von unten“ nennen derlei die Historiker, Zimmer holt sie an die (brüchige) Oberfläche – gerade auch die von heute.


Alltag vor der Revolution: Matrosen „auf Urlaub“ (Still aus dem Film)
Wenn über dem Kieler Ostseekai eine rote Fahne weht, ist es die, den ausladenden Bug einer Fähre zu markieren, längst nicht mehr das Zeichen der revolutionären Matrosen. Etwas wie Wehmut schwingt mit, wenn Zimmer sie in den Bildstrom aus historischen Kiel-Fotos aus der Zeit vom Anfang des 20. Jahrhunderts montiert. Mahnend vielleicht die Einstellungen von heute in Kiel immer noch gebauten U-Booten, wenn er im Off-Ton Andersen über eine verheerende Torpedo-Explosion auf der Kieler Germania-Werft berichten lässt. Der Krieg geht weiter, auf die Revolution ist nur noch ein zartes Requiem zu singen. In Sinnbildern wie denen von Abriss-Baggern, die sich durch die festen Gemäuer einer eingerissenen Gesellschaftsordnung fressen wie durch die des Kapitaltempels Karstadt, der bis eben noch da stand, wo einst Matrosen die rote Fahne hissten, um kurz danach von einer Soldaten-Patrouille zusammengeschossen zu werden. Die Meldungen von der immer löchriger werdenden Front, die Andersen in sein Tagebuch aufnahm, montiert Zimmer über Frontfotos, die trügerisch in romantischem Gras liegen und nicht weniger romantisch mit zeitgenössischer Ballsaalmusik unterlegt sind.


Rote Fahnen heute: Sinnbild für die (gescheiterte) Revolution (Still aus dem Film)
Nicht weniger sinnbildhaft sind immer wieder zwischengeschnittene Bahnfahrten (die auch Andersen oft unternahm): das Transitorische, das in vielen Arbeiten Zimmers (wie z.B. „Transitions“, einer Found-Footage-Reihung aus An- und Abfahrszenen US-amerikanischer TV-Serien) das Filmbild buchstäblich in Bewegung bringt. Wo die historischen Fotos statisch Orte „der Weltgeschichte“ zeigen, wird der Film hier seltsam flüssig, flüchtig auch. Nicht zuletzt dadurch, dass Zimmer die „Lesung“ aus dem Tagebuch, das ohnehin telegrammartig ist, auf eine Reihung von einzelnen maschinengewehrartig ratternden „Keywords“ verdichtet. Im Verlauf des Films gewinnen solche Montagen immer mehr an Fahrt, steuert die Geschichte auf ihren vermeintlichen Endpunkt zu, der doch aus dem Anfang nicht herauskommt, sondern in ihm schon wieder enden muss. Eine ähnlich beschleunigende, auf das (schlimme) Ende hin zielende Wirkung haben die Einstellungen von damaligen Orten, die Zimmer im friedlichen Heute zeigt: Kieler Straßen von damals, wie sie heute – nach wie vor der Revolution – schlummern, mit ihren banal geparkten Kleinbürger-Limousinen auf dem „Bürger“-Steig.


Abriss, wo einst revolutionäre Schüsse fielen (Still aus dem Film)
Am Ende hallen die Schüsse in der Ringstraße, die Matrosen wie kaisertreue Soldaten erleiden. Der Mond steht und weht dennoch still über der Szenerie der Revolte, der Schnee fällt sanft, das Gras, das wir „ausreißen müssen, damit es grün bleibt“ (Brecht), wächst lang über die Fotos von zusammenbrechenden Fronten ... Die Revolution, die von Kiel ausging, die Nicolaus Andersen beobachtete, ist gescheitert und vergangen. Zimmer singt ihr ein sehr persönliches, revolutionsromantisches Requiem, auszugreifen in die Zukunft, wo vielleicht noch einmal wir, die Andersens von heute oder morgen, niederreißen werden die Paläste ... (jm)

„Revolution 18“, D 2012, 25 Min., 16:9, Farbe und s/w. Buch, Regie, Kamera, Schnitt: Kai Zimmer, Texte: Tagebuch von Nicolaus Andersen (Kiel, 1917-1919, zur Verfügung gestellt von Karl Altewolf). Archivfotos: Stadtarchiv Kiel sowie Hauke Hansen. Gefördert von der Filmwerkstatt Kiel der FFHSH.

Der Film feiert seine Premiere am 22. November 2012, 19 Uhr im KulturForum der Stadtgalerie Kiel (Andreas-Gayk-Str. 31) in der Reihe „Stadtgalerie EXTRA“.