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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

Plädoyer für Kreativraum in der Stadt

Interview mit Jessica Dahlke zu „Faktor Kultur – Kiel als Stadt der Kultur(en)“


Am 22. Mai 2017 lud die Ratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen unter dem Motto „Faktor Kultur – Kiel als Stadt der Kultur(en)“ zu Vorträgen und Diskussionen in die Räume der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Angeregt durch einen Einführungsvortrag von Trevor Davies, Planungsdirektor für die Europäischen Kulturhauptstädte Kopenhagen 1996 und Aarhus 2017 und Direktor am International Theater Kopenhagen sowie Berater für Cultural Planning, ging es dann in sieben Workshops zu verschiedenen Themen der städtischen Kultur und des Kulturschaffens. Die Bandbreite reichte dabei von Stadtteilentwicklung über Erinnerungskultur, digitale Chancen der Kulturvermittlung bis hin zur Toleranzförderung und Rechtsextremismus-Präventation in der Kulturarbeit.

Jessica Dahlke, Vorsitzende der Filmkultur SH e.V., Filmemacherin und Netzwerkerin in der Filmszene Schleswig-Holsteins, war eine der angekündigten DiskussionspartnerInnen in den Workshops. Wir haben sie zu ihren Eindrücken und den Ergebnissen der Veranstaltung befragt. Das Interview führte Daniel Krönke für infomedia-sh.

infomedia-sh:
Trevor Davies hat über „Wie kann eine Stadt Kultur gestalten?“ am Beispiel Aarhus gesprochen. Welche Anregungen konnte man aus seinem Vortrag für Kiel mitnehmen?

Jessica Dahlke:
Ich denke die wichtigste Botschaft von Trevor Davies war, dass Kultur nicht von oben aus der Politik verordnet werden kann. Kultur geht von der Kulturschaffenden selbst aus. Die Stadt kann dazu nur finanzielle Unterstützung geben und – vor allem in Deutschland – darauf achten, dass Kultur und Ideen nicht durch zähe Verwaltungsprozesse gehemmt oder sogar verhindert werden.
Kultur sieht er außerdem als Teil der demokratischen Partizipation. Sie lässt den Bürger teilnehmen und bemächtigt ihn – ja, im Sinne des Wortstamms Macht –, sich an der Gestaltung der Gesellschaft, in der wir leben wollen, zu beteiligen.

infomedia-sh:
Als Vorsitzende der Filmkultur SH e.V. bist du sicher mit der Perspektive und den Wünschen einer Filmemacherin in die Diskussion gegangen. Welche Themen und Wünsche liegen dir für die Filmszene und Film-Community in Kiel besonders am Herzen?

Jessica Dahlke:
Was mir immer wieder in der Kulturpolitik in Kiel und teilweise in Schleswig-Holstein auffällt, ist, dass Kultur nur im Sinne von Theater, Musik, bildender Kunst, Religion, Erinnerung und Integration gedacht wird. Der Film scheint manchmal überhaupt nicht stattzufinden, obwohl er mit seinen über 100 Jahren nicht mehr zu den Babys unter den Künsten gehört. Zudem spielt der Film bei allen oben genannten Richtungen mal mehr mal weniger eine Rolle bzw. vereint diese ebenfalls in sich selbst. Eine Stadt ohne Film zu denken, das ist in meinen Augen absurd.
Leider führt dieser Umstand auch dazu, dass die Bedürfnisse der Filmemacher darauf reduziert werden, Geld für ihre Projekte zu bekommen und das Equipment günstig leihen zu können. Das reicht aber nicht aus. Wenn du einen guten Film machen willst, dann brauchst du die richtigen Leute um dich herum. Das bedeutet, das Netzwerk unter den Kulturschaffenden in der Stadt muss funktionieren. Und du brauchst einen Raum, in dem du z.B. etwas lagern, Proben abhalten oder bei längeren Produktionen ein Produktionsbüro einrichten kannst.


Synergien schaffen: Jessica Dahlke sieht gemeinsame Bedürfnisse Kieler Kulturschaffender. (Foto: Bettina Aust)
infomedia-sh:
In den Workshops ging es natürlich nicht nur um die Filmemacher. Sind die Sorgen und Wünsche anderer Kulturschaffender in Bezug auf Kiel vielleicht aber doch ähnlich? Lassen sie sich auf einen Nenner bringen?

Jessica Dahlke:
Ganz klar: Ja! In unserem Workshop ging es um mehr Räume für Theatergruppen und Musiker. Wir waren uns relativ schnell einig darüber, dass unsere Kunstrichtungen sehr viele Gemeinsamkeiten haben und wir uns untereinander brauchen. Was wäre der Film ohne die Theaterschauspieler? Was wäre die Musik ohne Musikvideos oder der Film ohne Score? Was wären wir alle ohne die ganzen Schreiberlinge und Geschichtenerzähler? Daher war uns auch schnell klar, dass wir einen Ort brauchen, an dem wir gemeinsam arbeiten können. Nur dort können wir uns gegenseitig mit wertvollen, kreativen Impulsen befruchten bzw. schlicht uns in unseren verschiedenen Fähigkeiten ergänzen.

infomedia-sh:
Welche Ergebnisse habt ihr in eurem Workshop zusammengetragen? Und gibt es eine Aussicht, wie die Ratsfraktion Bündnis90/Die Grünen diese im Kieler Stadtrat umsetzten kann oder will?

Jessica Dahlke:
Unser Ergebnis war ein Ort mit verschiedenen (Probe-) Räumen, in denen Theatermenschen, Musiker und Filmleute gemeinsam arbeiten und sich treffen können. Wichtig sind z.B. gemeinsame Aufenthaltsräume (Kneipe, Café), denn ein Zentrum, in dem die Künstler allein in ihren Parzellen vor sich hinwerkeln, ist wenig wertvoll. Zum zweiten ist es wichtig, dass die Miete für die Künstler bezahlbar bleibt und Mindeststandards wie Lärmschutz und eine gute Bausubstanz eingehalten werden. Im Sinne der offenen Gesellschaft sollte dieser „Kreativraum“ für alle offen sein, was natürlich nicht heißt, dass dann da jeder während eines Drehs übers Set latscht. Denkbar wären Tage der offenen Tür, Seminare und eine gemeinsam genutzte Kneipe oder ein Café. Dazu könnte auch ein Saal für Aufführungen, Konzerte und Ausstellungen gehören, also ein ähnliches Konzept wie das Black Box Theater der Stadt Tallinn. Denn Kultur bedeutet für mich, gemeinsam an einer lebenswerten Gesellschaft zu arbeiten. Und dazu können wir Filmemacher eine Menge beitragen.
Inwieweit ein solches Projekt angefasst wird, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht abschätzen. Die Mühlen der Demokratie haben ihre Geschwindigkeit, das muss man akzeptieren lernen. Ich kann da nur an die Künstler appellieren und raten: „Macht das Projekt zu eurem Projekt!“ Denn mit konkreten Konzepten kann eine Ratsversammlung bei weitem mehr anfangen als mit einem bloßen „Macht mal!“ Demokratie heißt Volksherrschaft, und das bedeutet mitzumachen, statt Dienstleistungen zu erwarten.

infomedia-sh:
Jessica, wir bedanken uns für das Gespräch.