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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

12. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2008

Als Beitrag zur Weltrevolution

„Die Ossis von Namibia“ (Klaus-Dieter Gralow, Roger Pitann, und Hans Thull, D 2007)

„Es sind einfach nur Kinder ausgesucht worden. Ich glaube auch nicht, dass die Eltern was dazu zu sagen hatten“, so Albertina T. Heila über ihre überraschende Verbringung von Angola ins winterliche Mecklenburg 1979. Notgedrungen, ungefragt, kommt sie als junge afrikanische Exilantin ins „SWAPO-Heim“ im „Arbeiter- und Bauernstaat“, als „Beschenkte“ und zugleich Opfer der „Internationalen Sozialistischen Solidarität“.
Der Dokumentarfilm „Die Ossis von Namibia“ erzählt vom Schicksal der rund 450 namibianischen Kinder, die im Winter 1979/80 von Afrika in die DDR ausgeflogen wurden. Hierbei handelte es sich nicht nur um eine humanitäre Hilfsaktion für Opfer, die im Befreiungskrieg der namibianischen Befreiungsarmee SWAPO gegen Südafrika zu Waisen geworden waren. Auch Kinder von SWAPO-Angehörigen und andere eher zufällig Ausgesuchte wurden aus Flüchtlingslagern in Angola nach Deutschland verfrachtet. Neben der humanitären Hilfe war es politisches Ziel dieser „Nacht- und Nebelaktionen“, eine neue Elite für das zukünftige unabhängige Namibia auszubilden. Die DDR betrachtete ihr Engagement in dieser Sache als Beitrag zur „Weltrevolution“. Dabei wurden die Kinder, die sich noch im Vorschul- und Grundschulalter befanden, aus ihren zugegebenermaßen schwierigen Lebensumständen herausgerissen und in eine ihnen völlig fremde Umgebung gebracht. Ein Vorgang, der sich elf Jahre danach, nach der Unabhängigkeit Namibias, in umgekehrter Richtung noch einmal wiederholen sollte.

Die ostdeutschen Filmemacher Klaus-Dieter Grawlow, Roger Pitann und Hans Thull lassen für ihren wichtigen einstündigen Film vor allem die Betroffenen – heute Erwachsene – zu Wort kommen, daneben erzählen ehemalige Erzieher und Lehrer, Adoptiveltern und Politiker. Zusätzlich bedient sich der Film, der ein kaum bekanntes Erbe aus postkolonialer Zeit thematisiert, aus Archiven der ARD-Tagesschau und des DDR-Fernsehens.

Heute sind die so genannten „Ossis“ in Namibia im gewissen Sinne Exoten, weil sie eine völlig andere kulturelle Sozialisation erfahren haben als ihre Altersgenossen, die hier aufgewachsen sind. Relativ schnell haben sie sich Anfang der 80er Jahre in ihren neuen Heimat in der DDR eingelebt, umhütet von deutschen und namibianischen Betreuern lebten sie auf dem ehemaligen Jagdschloss Bellin, wurden relativ problemlos eingeschult, lernten rasch die deutsche Sprache und besuchten nach einigen Jahren in Staßfurt die Oberschule. Regelrecht idyllisch hören sich ihre Erinnerungen an – über „alles, was Kindern Spaß macht“, wie Basteln, Kasperle-Theater, die gemütliche „Flimmerstunde“ vorm Fernseher oder Kirschen Klauen in Nachbars Garten. Auf der anderen Seite wurde von der SWAPO versucht, die Kinder trotz des Lebens in der Ferne an ihre ursprüngliche Heimat zu binden, was landeskundlichen, auch politischen, ja sogar paramilitärischen Unterricht beinhaltete. So wurde die Kindheit des jungen Namibianer ideologisch unterfüttert, war „immer politisch“, auf die Unabhängigkeit Namibias gerichtet.

Nach der Wende endete die Unterstützung der DDR für die Befreiungsbewegung, und fast zeitgleich erlangte Namibia seine Unabhängigkeit. Ende August 1990 mussten die Kinder aus Bellin und Staßfurt ihre neue Heimat verlassen und in ihr Ursprungsland zurückkehren. Wieder wurden sie nicht gefragt, wieder wurde über ihre Köpfe hinweg entschieden. Zum zweiten Mal: Verlust und Entwurzelung.

Nicht wenige der Betroffenen hofften, der Flug nach Winthoek sei nur ein Ausflug, es würde sie niemand vom dortigen Flughafen abholen und sie könnten bald wieder nach Deutschland zurück. Zu DDR-Zeiten war ihnen zugesichert worden, dass sie einen Schulabschluss in der DDR machten könnten. Nun musste ihnen der Zugang zu den privilegierten Schulen der weißen „Südwestler“ in Nambia erzwungen werden. Dort stießen sie auf allgemeine Ablehnung ihrer Klassenkameraden, die noch von zuhause aus rassistisch erzogen worden waren. Auch das traditionelle Leben bei ihren Familien auf dem Lande gestaltete sich schwierig. Der Kulturschock für viele war groß.
Heute, nachdem sich viele von ihnen erfolgreich z.B. als Anwälte, Journalisten oder Kaufleute in das Leben in Namibia integriert haben (von denen, die in ihrer erneuten Sozialisation gescheitert sind, berichtet der Film leider nicht), können sie eher gelassen darauf zurückblicken. Dennoch: Ihre besondere Identität als Menschen zweier Kulturen, denen mehrfach ihre Heimat genommen wurde, hat sie alle geprägt. Deshalb fühlen sie sich häufig ihren Freunden aus der „deutschen Zeit“ enger verbunden als ihren eigenen Eltern und Geschwistern. (Helmut Schulzeck)
„Die Ossis von Namibia“. Ein Film von Klaus-Dieter Gralow, Roger Pitann, und Hans Thull, D 2007, 60 Min. Buch: Klass-Dieter Gralow, Regie: Klaus-Dieter Gralow, Roger Pitann, Hans Thull, Kamera: Hans Thull, Schnitt: Roger Pitann, Ton: Roger Pitann. Gefördert von der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. und von der Kulturellen Filmförderung Mecklenburg Vorpommern e.V.
Der Film wird auf dem „12. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide“, in Kiel, in der Pumpe (großer Saal) am Sonntag, den 25. Mai, um 16 Uhr gezeigt.
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