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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

Zwischen Depression und Aufbruch

„Die wundersame Welt der Waschkraft“ (Hans-Christian Schmid, D 2009)

Außer dem Polit-Thriller „Sturm“ im Wettbewerb zeigte Regisseur Hans-Christian Schmid während dieser Berlinale noch einen weiteren Film im Forum: „Die wundersame Welt der Waschkraft“ ist sein erster Dokumentarfilm. Der im kleinen Team mit Kameramann Bogumil Godfrejow und einer Übersetzerin realisierte 16-mm-Film beobachtet zwei Familien in dem kleinen polnischen Städtchen Gryfino. Ihr Leben ist von Schichtdiensten und Erfolgszuschlägen bestimmt. Sie arbeiten hart in einer deutschen Großwäscherei, waschen Wäsche aus Berlin. In einem wirtschaftlich vereinten Europa wird auch Schmutzwäsche aus Berliner Nobelhotels mit dutzenden Lastwagen täglich über hunderte von Kilometern ins benachbarte Polen gefahren, um dort von Billig-Lohn-Arbeiterinnen gewaschen und gebügelt zu werden.



Der Weg der Wäsche: Vom Nobelhotel in Berlin ... (Foto: Berlinale)
„Waschkraft“ beginnt mit dem Zyklus der Weißwäsche vom Hotel zur Wäscherei und zurück. Bogumil Godfrejows Kameraarbeit ist angenehm filmisch. Sie nimmt sich Zeit, die Menschen in ihren Arbeits- und Lebensräumen zu beobachten. Protagonisten unter den Wäscherinnen und Arbeitern zu finden, war für Schmid und sein Team schwerer als erwartet, zu sehr sind die Frauen mit der Arbeit belastet. Doch das Filmteam ist beharrlich und findet schließlich ein Paar – beide arbeiten in der Wäscherei – sowie eine Mutter und ihre Tochter. Alle haben mit den knappen Löhnen und dem Durchbringen ihre Familien zu kämpfen oder sind auf Suche nach einer Alternative zur Arbeit in der Wäscherei. Die Wäscherei aber ist das wirtschaftliche Herz der ansonsten an Arbeitsmöglichkeiten armen Kommune. Ausführlich schildern insbesondere die Frauen ihre entbehrungsreiche Situation, die sie aber nicht hat verbittern lassen. Schmid lässt auch den Geschäftsführer der Wäscherei zu Wort kommen, der das niedrige Lohnniveau verteidigt. Nur mit minimierten Lohnkosten und dem billigen Wasserdampf aus dem benachbarten Heizkraftwerk kann die Wäscherei im europäischen Wettbewerb mithalten.



... zu den Wäscherinnen in Polen (Foto: Berlinale)
Schon „Lichter“ thematisierte das Leben an der Grenze, explizit der deutsch-polnischen. „Die wundersame Welt der Waschkraft“ nimmt sich auch in Schmids Augen wie eine verlorene Episode aus „Lichter“ aus. Auch in „Waschkraft“ spielt sich das Leben in einer Atmosphäre zwischen Depression und Aufbruch ab, die auch „Lichter“ auszeichnete. Doch trotz der Löhne am Existenzminimum, des Drucks zur Akkordarbeit und der mangelnden beruflichen Alternativen scheinen die polnischen Arbeiterinnen nie hoffnungslos, sondern halten am Familienverband und ihren kleinen Träumen fest. Tatsächlich ist nach Jahren der Abwanderung ins westliche Europa in Polen ein sich umkehrender Trend zu beobachten. Langsam verbessert sich die wirtschaftliche Situation, auch wenn es ein starkes West-Ost-Gefälle gibt. Deshalb wandern immer weniger junge Leute nach Westeuropa ab, so zwei junge LKW-Fahrer am Ende des Films. Ein wenig Hoffnung in der „wundersamen Welt der Waschkraft“. (dakro)
„Die wundersame Welt der Waschkraft“, D 2009, 93 Min., Super-16-Blow-Up auf 35 mm. Buch und Regie: Hans-Christian Schmid, Kamera: Bogumil Godfrejow, Ton: Hans-Christian Schmid, Schnitt: Stefan Stabenow, Produktion: Britta Knöller, Hans-Christian Schmid für 23/5, Co-Produktion: RBB, arte