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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

63. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2013

Rock’n’Roll-Familientherapie

„DeAD“ (Sven Halfar, D 2012)


Die Sektion „Perspektive Desutsches Kino“ als Leistungsschau deutscher Filmschulen zu definieren, trifft den Nagel sicher nicht ganz auf den Kopf, aber Debut- und Abschlussfilme junger Filmstudenten machen einen großen Anteil der gezeigten Filme aus. Natürlich wird dieser wichtige Schritt eines jungen Filmemachers besonders stark bewertet, und der Druck, mit diesem Film die Visitenkarte für das zukünftige Berufsleben abzugeben, ist groß. Oft beschleicht einen beim Betrachten der Filme der Verdacht, man hat eine Art Bewerbungsschreiben vorliegen, gerichtet entweder an Fernseh- oder Arthaus-Produzenten. Wer sicher gehen will, strebt beides an und orientiert sich am Look & Feel des Kleinen Fernsehspiels. Nichts gegen das Kleine Fernsehspiel, aber man wünscht sich halt eine TV-Programmschiene nicht als einzige Blaupause für frisches, deutsches Kino.

Umso erfreulicher, wenn in der Sektion äußerst gewagtes, widerspenstiges, kraftvolles, gar hingerotztes Kino geboten wird. Im vorletzten Jahr gefiel in dieser Hinsicht die Teenage-Riot-Girl Dramödie „Lollipop Monster“ (Franziska Riemann, D 2011), in diesem Jahr ist es „DeAD“ von Sven Halfar. Halfar ist bereits seit einigen Jahren aktiv im Filmgeschäft und hat nach seinem Abschlussfilm an der Hamburger Filmhochschule bereits mehrere Langdokumentationen für TV und Kino sowie Musikvideos und Kurzfilme realisiert. „DeAD“ ist nun sein Kinodebüt und sicher eines, das auffallen wird, sollte es dieser freien Produktion gelingen, einen Verleih zu finden.

Nach dem Selbstmord seiner Mutter macht sich Patrick zusammen mit seinem Kumpel Elmer auf die Suche nach seinem leiblichen Vater, den er für den Suizid seiner Mutter verantwortlich macht und der sich nie um ihn gekümmert hat. Er ist wild entschlossen, mit dem Mann abzurechnen, der sein und das Leben seiner Mutter zerstört hat. Dr. Raimund Borz ist Gymnasialdirektor und leidenschaftlicher Aquarianer. Zusammen mit seiner attraktiven Frau und Teenager-Tochter bewohnt er ein gepflegtes Haus im Hamburger Speckgürtel. Wenn er sich nicht selbstvergessen seinen Fischen widmet, lässt sich Dr. Borz aber auch gerne mal von einer Domina auspeitschen, um seinem Leben etwas Würze zu verleihen. Patrick und Elmer platzen in das Gartenfest zum 60. Geburtstag im engsten Kreise der Familie, Raimunds alkoholkranke Ex-Frau und sein oberflächlicher ältester Yuppie-Sohn komplettieren die Familienrunde. Die Konstellation gemahnt etwas an Thomas Vinterbergs „Das Fest“, aber Halfar geht die Konfrontation Vater-Sohn, die auch hier für eine Konfrotation Idealismus gegen Dekadenz steht, wesentlich ironischer an. Die Teddy-Boys Patrick und Elmer scheinen eher einem „Pulp Fiction“ oder „Wild at Heart“ entsprungen zu sein. Das gesamte Ensemble spielt seine Rollen etwas over-the-top und ironisiert, aber ohne seine Figuren für billigen Witz zu verraten. Patrick konfrontiert seinen leiblichen Vater zwar sofort mit seiner Herkunft, hält seine Vorwürfe aber zurück. Raimund schließt seinen neuen Sohn in die Arme, nicht ahnend, dass er als Biedermann die Brandstifter in sein Haus geladen hat. Schnell brechen sich Frustrationen und lang unterdrückte Emotionen Bahn, Patricks Anwesenheit wirkt wie ein Katalysator. Das Familienfest endet äußerst blutig.


Racheengel fast wie bei Tarantino: Niklas Kohrt und Tilman Strauß in „DeAD“ (Foto: Frank Linders)
„DeAD“ überrascht den Zuschauer mit einer Familienanalyse a la Tarantino, ohne dass Halfar sich zu sehr an den aktuellen Meister von ironisierten Rache-Geschichten anlehnt. Dieser Generationenkonflikt ist äußerst kurzweilig inszeniert, hervorragend besetzt und gut gelaunt gespielt. „DeAD“ hat Herz und den Mut zur großen Geste. Das kann man gerne mal haben – im deutschen Film. (dakro)

„DeAD“, D 2012, 104 Minuten, DCP, Regie & Buch: Sven Halfar, Kamera: Carol Burandt von Kameke, Schnitt: Angela Tippel, Darsteller: Tilmann Strauß, Thomas Schendel, Judith Rosmaier, Niklas Kohrt, Ruby O Fee, Produktion: Rike Steyer für Skalar Film, Hamburg